Am 15. Februar 2021 wird alles anders

Als Kinder konnten wir gewisse Tage im Jahr kaum erwarten: Weihnachten, Ostern und Geburtstag. Das waren soooo große Tage und es dauerte sooo lange, bis sie endlich da waren. Als ob man ein riesiges Nutella Glas in den Händen hält und es trotz aller Anstrengung nicht aufbekommt. Wenn der Tag dann endlich da war, schwebte das Konfetti zusammen mit Seifenblasen schon morgens durch das Zimmer. Die Luft roch nach Zuckerwatte. Man fühlte sich, als ob man eine Fee, ein Einhorn und den Regenbogen gleichzeitig entdeckt hat. Es war einfach alles rosarot und glitzerte.

Je älter wir werden, desto weniger erinnern wir uns. An dieses Gefühl, etwas kaum erwarten zu können. Diese leider unschöne Veränderung passiert nicht von heute auf morgen. Das geht Stück für Stück. Von Jahr zu Jahr wird es irgendwie anders. Wenn heute der nächste Geburtstag naht, schaue ich in den Spiegel und suche den optischen Verfall anstelle mich auf ein weiteres Jahr voller neuer Eindrücke, glückliche Momente und neue Lebenserfahrungen zu freuen. An Weihnachten mag ich vor allem die Vorweihnachtszeit. Nicht die drei Tage an sich. Die sind irgendwie immer ein bisschen anstrengend. Jedes Jahr aufs Neue habe ich Spaß daran die Weihnachtsdeko auszupacken und überall in der Wohnung zu verteilen. Aber ich freue mich mehr, wenn es wieder vorbei ist und ich die kitschigen Engelchen und Kügelchen wieder in ihre Kisten packen kann. Ab in den Speicher damit. War wieder schön mit euch. Sehen uns dann Ende November wieder.

Unser wichtiger Tag, den wir seit nun mehr 2,5 Jahren fast täglich herbeisehnen, ist der 15. Februar 2021. Er ist fest im Kalender eingetragen. Denn das wird ein ganz großer Tag! Würde es einen Adventskalender mit 880 Türchen geben, er würde hier hängen. Ein Maßband mit 8,80 Meter Länge und jeden Tag um ein Zentimeter gekürzt, es würde mir gehören. Und, es wäre jetzt gaaaanz kurz.
Am 15. Februar 2021 wird nämlich alles anders. Alles ruhiger. Alles entspannter. Alles leichter. Denn unser Gibson hat Geburtstag. Gibson wird ENDLICH fünf (5) Jahre alt. Fünf Jahre ist für diese Rasse ein wichtiges Alter. Denn mit Fünf wird ein Deutsch Kurzhaar (DK) ruhiger, entspannter, gelassener. Mehrere erfahrene DK Halter haben uns das versprochen. Hoch und heilig. Wir beten inständig, dass auch nur ein bisschen Wahrheit hinter dieser Ankündigung steckt.

Das liest sich jetzt vielleicht ein bisschen merkwürdig. Bitte nicht falsch verstehen. Wir lieben ihn so wie er ist. Mit allen Eigenschaften. Egal ob gute, schlechte oder ungestüme. Wir sind stolz auf ihn. Sehr stolz. Er hat in den letzten drei Jahren so viel gelernt. Er gibt sich so viel Mühe, die Emotionen und seine Impulsivität im Griff zu halten. Trotzdem ist es manchmal echt anstrengend, wenn ein Eichhörnchen in unserem Hof spazieren geht. Die Amseln sich einen Spaß mit ihm erlauben. Sie sitzen dann im Baum über ihn. Starren auf ihn hinab während sie ihn anzwitschern und dann irgendwann fliegen sie ganz nah an ihm vorbei. Er dreht dann völlig durch. Wird zum Wirbelsturm. Ein Hund auf ADHS. Getoppt wird dieses Verhalten nur noch bei Katzen. Bevorzugt, wenn sie uns beim Gassi gehen begegnen. Dann ist er ganz raus. Früher haben wir umgehend abgebrochen und ihn am Halsband direkt nach Hause gezerrt. In der Zwischenzeit können wir es im Freien aussitzen. Es dauert (zirka fünf bis zehn Minuten) bis er wieder ein bisschen Gibson ist. Ein bisschen Gibson mit ein bisschen ADHS. Zumindest solange keine weitere Katze, Eichhörnchen oder Amsel unseren Weg kreuzt.

Am Anfang dachten wir es liegt an uns. Wir haben alles gelesen. Sämtliche Möglichkeiten in Betracht gezogen. Vieles ausprobiert und trainiert. Mit minimalem Erfolg. Dann war die nächste Schlussfolgerung: Es liegt an Gibson. An sein Leben vor uns, bzw. das nicht-Leben, das er gezwungen war zu führen. In diesem drei mal vier Meter großen Freilandzwinger ohne Auslauf. Ohne Ansprache. Ohne Zuwendung. In der Zwischenzeit wissen wir aber: Es ist eine Kombination. Seine ersten Jahre in der Zelle und seine Rasse. Der Deutsch Kurzhaar hat es nämlich faustdick hinter den Ohren. Er ist ein Treibauf. Ein Hund auf Speed. Und dieser kann ums Verrecken nicht an der Leine gehen. Schon gar nicht bei Fuß. Sie wollen laufen, laufen, laufen. Und die Welt erkunden. Alles ist interessanter. Wirklich alles. Selbst ein im Wind segelndes Blatt. „Impulskontrolle? Da war was. Stimmt. Da vorne liegt doch aber ein Stein – da muß ich hin. Egal ob du ein Leckerli in der Hand hältst. Oder am Ende der Leine hängst. Ich weiß du hast die Macht über mein Frühstück und Abendessen. Aber ich will zu diesem Stein! Ich MUSS zu diesem Stein!“ Und das tut er auch. Mit allen Konsequenzen.

Ein DK Halter hat viel zu tun. Training. Spielen. Kopfarbeit. Nasenarbeit. Bewegung. Und wieder von vorne. Vor 2,5 Jahren haben wir nicht gedacht, dass wir das Schaffen. Es ist Arbeit. Viel Arbeit. Sicher, es macht Spaß sich mit seinem Hund zu beschäftigen. Aber geht das nicht auch mal ein bisschen ruhiger? Ein bisschen konzentrierter? Ein bisschen entspannter? Ab dem 15. Februar 2021 wird unser Leben anders. Garantiert. Das ist der Tag der Tage. Wir glauben fest daran. Und dann gibt es ein riesen Glas Nutella. Und um uns rum fliegt Konfetti, gleiten Seifenblasen und die Welt wird rosarot glitzern!

© by Marita Matschiner

Der frühe Vogel fängt Croissants!

Als Kind und Teenager, wohnhaft in einer Kleinstadt, wollte ich irgendwie von A nach B kommen. Da war das Fahrrad genau das Richtige. Ungebunden. Ohne auf Mamas oder Papas Chauffeur-Service zu warten, darum zu betteln oder zu feilschen. Wenn ich so zurückdenke, habe ich die meiste Zeit meiner jüngeren Jahre auf dem Drahtesel verbracht. Als dann der Motorroller kam, und im Anschluss das Auto, war das Radl Geschichte. Der Aufwand war motorisiert einfach geringer. Die Kosten im Gegenzug leider höher. Aber was sind schon Kosten, wenn man überdacht und ohne eigene körperliche Anstrengung von A nach B kommen kann.

Heutzutage radle ich mit meinem Mountainbike in den Biergarten oder zum Bäcker. Ziemlich langweilig, dieses Mountainbike fahren. Aber macht man halt so. Ich halt auch.

Aber so ein Rennrad. Das finde ich schon seit vielen Jahre toll. Die sind so schön, schmal, elegant und so schnell. Auch die Fahrer sehen so ganz anders aus als die durchschnittlichen Mountainbiker. So schmal, elegant und treten so schnell. Regelmäßig habe ich mit dem Gedanken gespielt, mir so ein schickes und schnelles Zweirad zuzulegen. Da ich momentan wegen eines Gesundheitsproblems nicht so gut laufen kann, und mein Physio meinte, ich solle gleichmäßige Bewegungen machen, habe ich endlich meinen Freifahrtschein. Ein Besuch beim Fahrrad-Fachhandel muss sein. Und, da ist es nun. Mein neues, schmales, elegantes und schnelles Zweirad hat ein neues Zuhause gefunden. Bei mir.

Ich starte die erste Runde. Erst einmal die Straße hoch und runter. Schön, schmal und elegant ist es. Von schnell kann keine Rede sein. Es ist ein ganz anderes Fahrgefühl, so ein Rennrad im Vergleich zum Mountainbike. Zu erwähnen sei noch: Es ist ein Gravel-Bike. Quasi ein Rennrad, aber mit ein bisschen breiteren Reifen. Ein Miniprofil haben sie auch. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin und zu viele Autos und deren Abgase um mich rum sind, kann ich schwupp die wupp ausweichen. Einfach im Wald oder auf Schotterstraßen weiter. Nichtsdestotrotz: es ist schlank, schnittig und leicht wie eine Feder. Nur die gewohnte Federung vom Mountainbike fehlt meinem Allerwertesten.

Es ist 6:45 Uhr morgens. Der erste Morgen mit meinem neuen Rad. Die Vögel zwitschern. Die Luft ist frisch und unverbraucht. Laufen gehe ich bevorzugt in der Natur. Abseits von Menschen, Häusern und Autos. Mit dem Rad düse ich erst einmal durch unseren Ort und dann über die Landstraße. Und hier kommt ein enormer Unterschied: Im Wald riecht man Natur. Wald. Feuchten Boden. Wasser. Im Ort riecht man Duschgels. Deos und Parfums wie Axe, Davidoff Cool Water oder Abercrombie & Fitch. Hauptsächlich Männerdüfte. Frauendüfte sind eher selten. Dafür sucht sich das Haarspray der Damen oft seinen Weg aus den Bädern raus auf die Straße. Überall kommt einem ein frisch gebrühter Kaffeeduft entgegen. Es ist überwältigend was einem alles um diese Uhrzeit durch die Nase fegt. Bei manchen halte ich vor lauter Igitt den Atem an und trete kräftiger in die Pedale. Bei anderen bin ich versucht umzudrehen, um noch einmal ein oder zwei Prisen zu nehmen. An der nächsten Ecke ist ein großes Restaurant. Der Bratengeruch, ergänzt um Knoblauch und Zwiebeln, sucht sich seinen Weg durch die Nase direkt in mein Gehirn. Morgens um 7:00 Uhr kommt das bei mir nicht so gut an. Ich beeile mich um diese jetzt unangemessenen Gerüche hinter mir zu lassen. Weiter auf die Landstraße. Ich sehe die Straße vor mir, wie sie sich durch die Natur schlängelt. Im Hintergrund die Berge. Es riecht nach frisch gemähten Wiesen. Kuhdung. An einem Waldstück riecht es nach Zimt. Nach ein paar Metern schießt mir plötzlich der Geruch von Bananen in die Nase. Und zwar so eine ganz frische, die gerade von Grün in Gelb geschlüpft ist. Weiter hinten riecht es nach Ziegenkäse. Stimmt, da vorne kommt auch ein Ziegengehege. Ein Traum für meine Nase und damit für meine Seele. Kurz vor zuhause kommt unser Bäcker. Ich bekomme akuten Speichelfluss. Mein Magen knurrt lauter als der LKW, der mich gerade überholt. Dem brummenden Bauch muss ich nachgeben. Ein lauwarmes Croissant wandert für den Transport in meine Kapuze. Ich suche mir ein schönes Plätzchen, um mein Frühstück zu mir zu nehmen: Eine Parkbank direkt an unserem Weiher mit Maibaum im Hintergrund. Ich öffne die Bäckertüte und der Geruch von frischem Backwerk umgibt mich. Ich greife in die Tüte und reiße ein Stück von dem verführerischen Teilchen ab. Es hinterlässt einen glänzenden Butterfilm auf meinen Fingern. Lecker. Was für ein Morgen. Das gute Gefühl, etwas für mich, meinen Körper und meine Nase getan zu haben. Daheim wartet eine erfrischende Dusche und ein heißer Kaffee. Aber jetzt habe ich fünf Minuten Zeit. Fünf Minuten nur für mich und den gerochenen Eindrücken. Und für mein Croissant. Einfach toll.

Das war vor zwei Monaten. In der Zwischenzeit weiß ich, wo welcher Geruch ungefähr ist und kann die Strecke entsprechend planen. Je nachdem, wonach mir ist. Ich bin immer noch in dieses Fahrrad verliebt. Wir haben uns gut aneinander gewöhnt. Heute kommt es in seinen ersten Service. Mit 800 km auf dem Tacho. In der Zwischenzeit hat es seinen ersten Kratzer, aber es ist immer noch schön, schmal und elegant. Und ich bin schnell!

© by Marita Matschiner

Always Look on the Bright Side of…

Monty Python’s Life of Brian – Handmade Films Ltd. (1979)

Die dritte Woche im neuen Zeitalter „Mitten drin statt nur dabei“ ist angebrochen. Die dritte Woche im Homeoffice für meinen Mann, mich und unseren Hund Gibson. Die dritte Woche mit dem Corona-Virus und den Einschränkungen. Wir sehen jetzt die Auswirkungen auf Menschheit, Wirtschaft, Familiensituationen, finanzielle Verluste und Psyche. In den Nachrichten wird viel erzählt, diskutiert, berichtet und ganz besonders viel spekuliert. Die geradezu unpersönlichen Kommunikationsmedien wie Facebook, Twitter, WhatApp, Videotelefonie usw. laufen zu Höchstleistungen auf. Das alles kann einen schon sehr runterziehen und mit der Zeit deprimieren.

Die Lage ist kritisch, glaubt ein Teil der Bevölkerung. Andere halten es nicht für notwendig, ihr Leben und ihre Gewohnheiten anzupassen. Nichtsdestotrotz sind Toilettenpapier, Nudeln und Desinfektionsmittel restlos ausverkauft. Irgendwann müsste doch mal der Lagerräume in den Privathaushalten völlig ausgeschöpft sein. Wo verstauen die Leute nur all das Zeug? Verstehen würde ich es ja, wenn Babynahrung ausverkauft wäre. Einer unserer ersten Maßnahmen war, für unseren Gibson genügend von seinem Spezialfutter auf Lager zu haben. Ebenso seine wichtigen Medikamente. Nicht zu vergessen die vegetarischen Leckerlies (gesundheitlich bedingt). „Sein“ Lagerraum für all seine Dinge war relativ schnell aufgefüllt und bietet nun keinen Platz mehr. Auch nicht für eine Rolle Toilettenpapier. Unser Gibson wird nicht verhungern und seine Gesundheit wird auch nicht leiden. Zumindest für die nächsten sechs bis acht Wochen. Und dann sehen wir weiter.

Unser Einkaufsverhalten haben wir 100% dem Angebot in unserem Lebensmittelladen im Ort angepasst. Gibt es keine Nudeln, weichen wir auf Reis oder Kartoffeln aus. Oder wir machen Pasta einfach selber (Mehl, Eier, Salz und Olivenöl). Hat man momentan fast immer im Haus.

Bei unseren notwendigen Fahrten zum Supermarkt alle drei Tage ist mir aufgefallen, wie entspannt das von mir sonst so sehr verhasste einkaufen von Lebensmitteln geworden ist. Früher war das ein Hauen und Stechen. Jeder wollte der Erste sein. Keiner wollte dem anderen Kunden Platz machen oder den Einkaufswagen auch nur einen Millimeter auf die Seite schieben. Diese Einstellung hat sich völlig in Luft aufgelöst. Obwohl es in unserer jetzigen Situation eigentlich eher umgekehrt sein sollte. Das Toilettenpapierangebot ist ja begrenzt (verstehe ich immer noch nicht!). Stattdessen sind die shoppenden Personen freundlich, zuvorkommend und rücksichtsvoll. Es ist ein netter, auf Abstand basierender Umgang miteinander. Man grüßt sich. Lächelt sich dabei an. Auch beim Spazieren gehen und beim Outdoor-Sport. Früher wurde mein „Guten Morgen“ oder „Hallo“ zu 95% ignoriert. Oder ich wurde giftig angeschaut, weil ich mit Höflichkeit „gestört“ habe.  Jetzt habe ich den Eindruck, alle besinnen sich wieder auf Werte, die in den letzten Jahren verdrängt wurden. Verdrängt durch Zeitnöte, Kommerzialisierung, Egoismus, Intoleranz und Statusdenken.

Letzte Woche sind mir auf dem Parkplatz eine Mutter mit ihren zwei Teenager-Mädels aufgefallen. In der Vergangenheit war Mama immer alleine. Höchstens mit einem Töchterchen unterwegs, welches gemault hat und keinerlei Ambitionen hatte, Mama zur Hand zu gehen. Aber an diesem Tag waren die Mädels frohlockend und beide dabei. „Endlich raus und shoppen gehen!“ Auch wenn es nur bei Aldi ist. Hauptsache raus und was anderes sehen. Sie lachten alle drei und hatten echt Spaß miteinander. Was für ein schönes Bild!

Am Anfang hatte ich ein bisschen Respekt davor, solange Daheim zu sein. Nur zu Hause mit meinem Mann und meinem Hund. Wir haben unsere Tage gut geplant und vergessen trotz Arbeit und Verpflichtungen nicht den Anderen. Wir haben einen höflichen Umgangston miteinander. Sagen brav „Danke“ und „Bitte“. Versuchen nichts als selbstverständlich hinzunehmen. Wir lachen unheimlich viel – vor allem miteinander. Sind zwischendurch kindisch und blödeln rum. Situationen, die ich vor ein paar Wochen noch belächelt habe, lösen jetzt einen totalen Lachanfall aus. Ich hoffe das sind nicht die ersten Anzeichen von Durchdrehen, sondern von Entspannung und Zufriedenheit in dieser gruseligen Zeit. Heute war ich sogar das erste Mal seit Jahren entspannt und zufrieden beim und nach dem Lebensmitteleinkauf. Die Kinder spielen wieder im Freien (zumindest bei uns auf dem Land). Die Spaziergänger sind harmonisch und grüßen alle.

So sehr ich diese Wandlung mit Freude betrachte, Sorgen mache ich mir trotzdem. Wie wird die Welt wohl nach Corona aussehen? Stürzen wir uns sofort wieder in die unpersönliche, unhöfliche, egoistische und schnelle Welt zurück? Oder bleibt man dann beim Spazierengehen auch mal stehen und lernt sich kennen? Grüßt man die Kassiererin mit einem Lächeln oder schmeißen wir nur unseren Einkauf auf das Rollband, in der Hoffnung, diese Verpflichtung möglichst schnell erfüllt zu haben? Wir werden es sehen. Ich hoffe, die Menschheit lernt daraus. Immerhin ist es ein globales Thema. Was uns allerdings zugutekommt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Nennt mich naiv, blauäugig oder zu optimistisch. Aber ich hoffe darauf, dass diese paar Wochen ausreichen, dass diese wiedergewonnene Gewohnheit bei den Menschen anhält und von Dauer ist. Auch nach Corona.

Es ist eine schlimme Zeit. Es ist eine harte Zeit. Aber vergesst nicht, zwischendurch das Positive zu sehen. Man muss gar nicht danach suchen. Sie sind da. In unseren Wohnzimmern. Vor der Tür. Beim Einkaufen. Nehmt es war, genießt diese Situation und lächelt.

Denn, wie hieß es eben im Radio: „Durch ein Lächeln und eine freundliche Begrüßung steckt man sich nicht mit Corona an! Ein Lächeln verbindet Menschen!“ Genau so ist es! Das geht nicht per Facebook, Twitter, WhatsApp oder Videotelefonie. Das geht nur persönlich. Von Mensch zu Mensch.

© by Marita Matschiner

Ein Jahr mit Gibson. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

12 unglaubliche Monate (eine etwas längere Geschichte)

Unser erstes Jubiläum mit unserem neuen Familienzuwachs! Kaum zu glauben, aber ein Jahr ist rum. Wenn ich so auf die letzten 12 Monate zurückschaue – wow da gab es viele Hochs. Aber auch extrem viele Tiefs. Jeder Tag war überraschend und anders als gedacht.

Am 12. Mai 2018 starteten wir den ersten gemeinsamen Tag mit einem Besuch beim Tierarzt. Nach einer Blutprobe von Gibson teilte man uns erst einmal mit, dass die Werte eine totale Katastrophe sind. Die Leishmaniose-Werte bewegten sich in exorbitanter Höhe. Die Nieren waren völlig im Eimer. Bei den Werten müsste er eigentlich schon lethargisch in der Ecke liegen. Der Grund, warum wir überhaupt dort waren, war ursprünglich ein anderer: seine offene Kastrastionswunde (pures Fleisch). Die war aber das geringste Problem. Am Ende des Termins meinte die Ärztin: Lebenserwartung drei bis sechs Monate. Das war ein Schock. Eine Nachricht, die wir so nicht hinnehmen wollten und auch nicht hingenommen haben. Die ersten Tränen flossen trotzdem. Ziemlich am Boden zerstört, fuhren wir wieder heim. Mit im Schlepptau eine große Tüte voll mit Medikamenten. Ab jetzt hieß es, jeden Morgen und jeden Abend unterschiedliche Tabletten in unterschiedlicher Dosierung. Mal davon abgesehen, dass eine spezielle Diät Pflichtprogramm ist. Wichtig: er muß wegen seiner Nieren mindestens alle paar Stunden vor die Tür und Pippi machen. Lebenslang. Auch bei seinen Allopurinol-Tabletten bekam er lebenslänglich. Wie lange seine Zeit auf Erden auch sein wird. Mhhhh. So hatten wir uns das nicht vorgestellt.

Wieder zuhause stellten wir fest, dass er außer Essen, Schlafen, Trinken, Pippi und sein Geschäft erledigen, gar nichts konnte. Weder die Grundbefehle noch Treppen steigen. Sein Fell war struppig und überall kahle Stellen. Barthaare waren auch keine vorhanden. Unsere größte Herausforderung war aber: er mußte dringend zunehmen. Er lag unter 25 Kilo. Was bei der Grösse echt zu wenig ist. Er war nur Haut und Knochen. Sogar zu schwach um sich mit dem Hinterlauf zu kratzen. Er kippte jedes mal um.

Nach zwei Monaten entschlossen wir uns einen Hundetrainer aufzusuchen. Als Ergänzung legten wir noch Anti-Jagd-Training oben drauf. Da Gibson den Eindruck machte, total von der Rolle zu sein und immer nur Vollgas geben zu wollen, gingen wir auch zu einer Verhaltenstherapeutin. Dort stellte sich dann heraus: Deprivationsstörung. Er wurde zu früh von Mama und den Geschwistern weggenommen und kam wohl in Einzelhaft. Daher hat er keine Erziehung und Prägung genossen und keinerlei Sozialisierung erhalten. Er kann mit Strenge und Disziplinarmaßnahmen nichts anfangen. Ebensowenig wie mit der Leine. Im Kopf war der Zweijährige noch ein Baby. Um es leichter verständlich zu machen: stelle ein dreijähriges Kind in den Eingang eines Toys’R’Us uns sage: Viel Spaß! Das was dann passiert, passiert auch bei Gibson, wenn die Haustür aufgeht. Oder das Gartentürchen. Oder die Bürotür. Oder welche Tür auch immer. Aaaaaattaaaaaaaaaacke! Zusätzliche Erscheinung bei seiner Störung: Ein normaler Hund braucht durchschnittlich 20–30 Wiederholungen, um etwas zu erlernen. Gibson braucht dafür rund 100 Wiederholungen. Manchmal auch noch mehr. Ein weiterer Sachverhalt, die es zu akzeptieren galt.

Kaum stellten sich die ersten Erfolge ein, bekam er im Herbst plötzlich heftigen Husten und wir mußten mit dem Hundetraining stoppen. Zu Weihnachten mußte er wegen Schmerzen stationär in die Klinik aufgenommen werden. Röntgen und CT ergaben: ein Knochensplitter wandert an der Wirbelsäule umher. Das musste eine alte Verletzung sein und war anscheinend die Ursache. Ich will gar nicht wissen, was ihm da in seinem Verlies widerfahren ist. Wir waren kurz davor, ihn einschläfern zu lassen, wenn das nicht der Grund für die Schmerzen sein sollte. Aber nach der Entnahme dieses Splitters durfte Gibson wieder mit nach Hause und zeigte sein altes Verhalten. Es war der teuerste Couchurlaub meines Lebens.

Heute. Fünf Monate später. Gibson hat nun endlich über 30 Kilo stabil auf der Waage und Barthaare sowie Wimpern. Sein Fell ist wie Kaschmir. Die Blutwerte sind unfassbar gut. Seine Ärztin war den Tränen nahe. »Wenn man es nicht wüßte, wie krank er war, würde man es anhand des Blutes nicht erkennen.« YES! Gibson ist in der Tierklinik bekannt wie ein bunter Hund. Naja, wie ein braun-weißer Hund. Gesundheitlich ist er ein Wunder und keiner hat eine Erklärung dafür.

Seine inneren Werte sind ein Traum. Er ist ein Guter. Lieb, brav, kuschelig, hört (mehr oder weniger) und freut sich über jeden Menschen und jeden Hund. Er läuft frohlockend auf jeden zu. Man kann förmlich sehen wir er ruft »Hey, wer bist denn du? Lass uns spielen!«. Er beherrscht jetzt fast alle Grundregeln: Sitz, Platz, Aus, Nein, Bleib. Und das relativ zuverlässig. Der Stop-Befehl funktioniert von Tag zu Tag besser – ebenso das Steh. Zusätzlich haben wir »Rechts«, »Links« und »Turn« eingebaut. Das brauchen wir für die Laufeinheiten und den Cross-Roller. Das sind die beiden Möglichkeiten ihm seinen Bewegungsdrang nachgeben zu können. Freilaufen ist leider noch nicht möglich. Weil das Abrufen noch sehr zu wünschen übrig lässt. Das mit dem gemeinsamen Joggen mußten wir leider endgültig im Februar einstellen. Denn in der Zwischenzeit sind mein Mann und ich körperlich ziemlich lädiert. Wir besuchen regelmäßig unsere Physiotherapeuten und Osteopathen. In unserem Badezimmerschrank ist eine Riesenauswahl an Schmerzgels, Tigerbalsam und anderen Mitteln – wir könnten einer Apotheke Konkurrenz machen. In den vergangen zwölf Monaten hat unsere Gesundheit zusätzlich einige Herausforderungen zu bewältigen gehabt, die leider alle Gibson zuzuschreiben sind. Von einer Hornhautverletzung mit einem Besuch in der Augenklinik am Sonntagabend bis hin zu einer riesigen Beule an der Stirn, die aussah wie ein Hühnerei. Etliche blaue Flecken, Brandwunden von der Schleppleine, ausgekugelte Finger, Bänderdehnungen, offene Lippen. Last but not least entzündeter Ischiasnerv, unter dem mein Mann und ich heute noch leiden. Kratzer brauche ich wohl nicht erwähnen. Das war unser Standard-Hautschmuck in den letzten Monaten. Ein Kollege machte sich letzten Sommer einen Spaß daraus, dass er einschreitet, wenn mein Mann nicht bald aufhört mich zu verdreschen. Ha-Ha! Sehr witzig.

Gibsons Schrank ist aber auch nicht zu verachten: insgesamt sechs verschiedene Leinen (und da sind die von ihm zerstörten nicht mitgerechnet). Mehrere Geschirre. Gefühlt hat er 30 Bälle in unterschiedlichen Härtegraden und Größen zerstört. Um einen Erwachsenensitzball ins Nirvana zu schießen, hat er gerade mal 30 Sekunden gebraucht. Selbst ein Basketball ist nach 1,5 Minuten vor lauter Schreck explodiert. Sein erstes Kuschelschwein »Piggy« hat nur noch ein Ohr und ein Bein und eigentlich keinen Hintern mehr. Die Nase ist von mir mehrmals geflickt worden. Aber ich kann mich einfach nicht davon trennen. Mamas halt. Da er möglichst kein Fleisch und schon gar keine Innereien essen darf, haben wir eine begrenzte Auswahl an Leckerlis. Natürlich von ganz speziellen Lieferanten, bei denen ich diese in Massen bestelle. Die Schranktür geht nach einer Lieferung manchmal gar nicht mehr zu. In der Zwischenzeit hat er auch ein eigenes Tagebuch, in dem ich Gewicht, alle Besonderheiten sowie neu erlangte Fähigkeiten eintrage. Falls er beim Sport doch einmal abhanden kommen sollte, haben wir uns zu einem Tracker entschieden. Allerdings funktioniert das GPS bei uns in der Pampa nicht wirklich gut. (Wer also eines brauch – ich hätte eines zu verkaufen.) Ein Ersatz mußte her. Die »Freunde-App« auf dem Handy funktioniert mit LTE wunderbar. Tja, was soll ich sagen. Gibson ist wohl der einzigste Hund auf der Welt, der ein eigenes iPhone hat. Dieses ist an seinem Sporthalsband befestigt.

Unser Baby-Gibson hat uns in den letzten Monaten viele Nerven gekostet. Auch viel Geld. Aber es gibt einfach Dinge, die kann man nicht mit Geld aufwiegen. Wenn er vor lauter Freude auf einen zudonnert, mit seinem roten Ball im Mund und man ihn schon fast hört, wie er ruft: »Da bist du ja! Lass uns spielen!«. Oder wenn wir abends alle zusammen auf der Couch liegen, er sich an einen kuschelt und ein zufriedenes Grunzen von sich gibt, sind alle Investitionen, alle Sonderlocken und alle Schmerzen vergessen.

Willkommen in Deinem zweiten Jahr in Deiner dich liebenden Familie, Gibson! Wir sind sehr gespannt, was die kommenden 12 Monate mit dir zu bieten haben. Denn das erste Jahr kommt anders und das Zweite als man denkt.

© by Marita Matschiner

Kokosexplosion

Im Büroalltag ist für mich eine kleine Nachmittagssünde in Form von etwas Süßem ganz wichtig. Es muss nicht immer ein Stück Kuchen sein. Es geht auch mal eine Tafel Schokolade. Ich bevorzuge in den meisten Situationen tatsächlich die leider Umweltbelastenden, ewig haltbaren und möglichst portioniert eingepackten Süßigkeiten (und ja, ich schäme mich dafür!). Der Schokoanteil sollte bitte möglichst hoch sein. Und wir reden hier jetzt nicht von der Zartbitterschokolade. Bei der rollen sich meine Fußnägel auf und gleichzeitig weigern sich meine Geschmacksknospen im Mund partout ihren Job zu erledigen. Sieht ja noch nicht mal lecker aus. Dunkel und matt. Steinhart ist sie meist auch noch. Meilenweit entfernt von der mir bevorzugten Version: ein leichtes, weiches Braun mit einem dezenten Glanz. Im Mund wird es dann ganz doll cremig und langsam zerläuft dieses schmierige Etwas und erreicht jede Geschmackszelle. Wie ein Lavastrom, der langsam einen Berg runterschmilzt. Jeder erreichte Millimeter veranstaltet umgehend eine Superparty. Mhhhh. Yamyam. Akuter Speichelfluss.

Besonders praktisch an der portionierten Nascherei: sie ist relativ sauber. Ausnahme: Kinder bekommen sie in ihre unkontrollierten Hände. Dann könnte es völlig ausarten. Von den Händen übers Gesicht bis runter zum Shirt und Hose. Mal vom Fußboden ganz abgesehen. Aber ich bevorzuge ja die kleinen verpackten Leckereien. In der Größe einer Mundportion. Ein Happs und alles ist fein und sauber. Regulär funktioniert das auch ganz gut. Bis auf, ja bis auf.

Gestern fiel meine Aufmerksamkeit an der Lebensmittelkasse auf Raffaello. Diese weißen Strand-Kokos-Hut-Pralinen mit einer ganzen Mandel in der Mitte. Viererpack. Perfekt für einen Nachmittag. Um 14:30 Uhr war es dann so weit. Der Nachtisch zum Nachmittag. Habt Ihr schon einmal so eine Packung aufgemacht? Der superkreative Diplomingenieur, der sich das ausgedacht hat, gehört entlassen. Fristlos.

Man startet mit der äußeren Verpackung. Um diese aufzubekommen nimmt man den überlappenden Plastikfalz der Verpackung und zieht diesen vorsichtig in die entgegengesetzte Richtung. Nur ist diese Lasche an der unteren Seite angebracht. Ich möchte noch einmal kurz in Erinnerung rufen: Raffaello ist von innen nach außen wie folgt aufgebaut. Eine ganze Mandel – Milchcreme – Waffel – Kokosraspel. Gebettet wird diese Superkalorienbombe auf einem kleinen weißen Pralinenpapier mit Riffelchen an der Seite. Wollen wir jetzt noch einmal kurz Eins und Eins zusammenzählen? Kokosraspel außen auf der Praline und damit auf Papier in einer Plastikhülle. Die Zellophanverpackung reißt man unten auf. Was passiert dann? Genau: der Schreibtisch sieht aus wie Sau! Überall fliegen diese kleinen Kack-Kokosraspel durch die Gegend. Unter dem Mausepad. Auf dem Tisch. Und sogar auf und in der Tastatur! Jetzt die nächste Herausforderung: ich will unbedingt an die Kugeln kommen. Da ich ruckartig aufgehört habe, das Zellophan weiter auseinanderzureißen (denn es wären alle Kugeln von ihrem Papiertellerchen unkontrolliert in dem Großraumbüro herumgekugelt), versuche ich schnell und jetzt auch noch sabbernd, an diese Köstlichkeit zu gelangen. Mir bleibt die Wahl. Entweder die Packung ganz aufreißen und damit die ganzen losen Kokosflocken ungewollt durch die Gegend fliegen zu lassen (die Kugeln wären dann zumindest noch heile). Oder die Verpackung jetzt so zu lassen wie sie ist (Öffnungsgröße entspricht einer Kugel ohne Papierteller) und die Kugeln einzeln rausgepuhlt zu bekommen. Ich entscheide mich für das zweite Vorgehen. Ich puhle und puhle und versuche mit möglichst wenig Verlust vom Kokoskram an eine heile Kekskugel zu kommen. Sie zerbröselt leider in viele kleine Teilchen. Die auftauchende Milchcreme könnte auch als Kleber dienen. OK. Bei der nächsten muss ich noch behutsamer vorgehen. Neue Strategie: von unten die Tüte leicht drücken und die Kugel damit nach oben schieben. Shit. Der Druck war wohl zu groß. Die Kugel schießt an mir vorbei. Direkt auf den Fußboden. Auf dem Teppich bleibt ein kleiner Kreis von weißen Raspeln als Hinterlassenschaft. Die Dritte schieße ich mir direkt in den Mund und kriege einen Hustenkrampf von den losen Kokosraspeln. Die sind direkt in meinen Rachen geflogen und haben dann brav der Schwerkraft nachgegeben. Sie rutschen mir die Luftröhre runter. Die Kugel folgt den Kokosflocken im Sturzflug hinterher. Ich fange an zu würgen und versuche durch kräftiges Husten die Kugel wieder hervor zu bekommen. Mit Erfolg. Ich kann sie gerade noch vor dem ungewollten Sturzflug auf den Boden retten. Die Nummer Vier wird wieder mit der ersten Methode versucht. Was mehr schlecht als recht funktioniert.

Das Ende vom Lied: Die Milchcreme hat sich auf meinen Lippen und dem Kinn verteilt. Die Finger kleben wie Hölle von der Milchcreme. Ich glaube ein bisschen hängt sogar in meinen Haaren. Der größte Teil des schmierigen Zeugs ist auf der Laptoptastatur gelandet, zusammen mit diesen Raspeln. Um mich herum sieht es aus, als ob einige Kokosnüsse explodiert sind. Ich und mein Umfeld sehen aus wie eine 3-Jährige, die unkontrolliert versucht hat, ihr erstes Milcheis zu verschlingen. Ist mir egal. Ist nun mal mein Laster. Ich trage gerne die Konsequenz. Denn ich bin seelig. Ein paar Kugeln – leider nicht alle vier – gehören mir und haben mir den Tag versüßt.  Ich lächle zufrieden und mit Endorphinen gestärkt in meinen Bildschirm und gehe meiner Verpflichtung nach.

© by Marita Matschiner

 

Ein Gibson steht im Walde – ganz still und stumm

Ein Gibson nachdem er im Wald war

Der „Knirps“ ist nun seit 13,5 Wochen bei uns. Ich bin äußerst überrascht, was so läuft bzw. nicht läuft. Wie und was mit Gibson funktioniert oder eben auch nicht. Manches auch so leider überhaupt gar nicht. Kurz in die Runde gefragt: gibt es eigentlich eine Steigerung von „überhaupt gar nicht“?

Das wir ihn erst mit seinem neuen Namen konfrontieren mussten, war ja klar. Das hat er relativ schnell kapiert. Wer sollte auch sonst gemeint sein, wenn alle Anwesenden in seine Richtung starren und laut und immer wieder „Gibson“ in unterschiedlichsten Tonlagen trällern. Am Abend ging es dann frohen Mutes in den ersten Stock in unsere Wohnung. Nur wer kam nicht mit? Richtig: Gibson. Der Wurschtel wehrte sich mit allen vier Pfoten, die Treppen hoch zu tapern. Mein Mann musste ihn hoch tragen. Er konnte es gar nicht. Hat es nie gelernt. Also am nächsten Tag: Treppen steigen üben. Was für unser eins so völlig normal und selbstverständlich ist, hat uns ganze zwei Tage Training gekostet. Überraschung: runter ging übrigens auch nicht. Nächste Herausforderung. Für das wieder runter kommen brauchten wir dann zusätzlich noch einen Tag. Zumindest konnte er jetzt selbstständig Treppensteigen. Machte es einfacher.

Essen war überhaupt kein Thema. Gibson hat einen gesunden Appetit und isst irgendwie alles. Darf er aber nicht. Aus gesundheitlichen Gründen müssen wir eine spezielle Ernährung einhalten. Da er sowieso zunehmen muss, nutzen wir seinen guten Essenswillen mit Gibson-konformer Nahrung massiv aus. Was natürlich Folgen hat: der Bube muss oft sein Geschäft erledigen. Gerne auch mal viel. Auch in unterschiedliche Farben und Formen. Da die Haufen zeigen, wie und was er verträgt, war das ein wichtiges Thema. Nach zirka zwei bis drei Wochen kam ich mir vor, wie ein Internist, der auf Ausscheidungsmöglichkeiten und deren Gründe spezialisiert ist. Der abendliche Jobtalk mutierte zum Wie-hat-unser-Hund-geschissen-Talk. Unglaublich wie viele unterschiedliche Adjektive wir fanden, um die Ausscheidungen unseres Hundes fast bildlich darzustellen. Für die von Euch, die jetzt auch Bilder im Kopf haben: Blumenwiese, Katzenbabys, rosa Elefanten.

Wieder gut jetzt? Fein. Dann weiter. Gibson durfte sich dann auch erst einmal von den Eltern unserer Patenkinder durchknuddeln lassen. Ebenso von unseren Patenkindern selber. Mal so: er liebt sie alle. Ganz besonders steht er auf unsere zwei Nachbarn im Haus. Unglaublich, wie schnell er so eine enge Bindung zu diesen zwei Menschen aufgebaut hat. Dauerte nur ein paar Minuten. Jetzt wird bei Sichtung alles gegeben. Vom Fiepen und Schwanzgewedel bis kurz vor dem Abheben ist alles dabei. Am Ende wird gekuschelt bis es kein Morgen mehr gibt. Mit allen Menschen in unserem Umfeld funktioniert es großartig. Zuhause, im Büro und im Auto. Gibson ist der bravste, beste, tollste, liebste, süßeste (ich hab noch ganz viele Begriffe in der Art) Hund den es gibt.

Einen Haken hat die ganze Sache! Natürlich. Muss ja. Sein momentaner Spitzname bei uns ist der Gibsonator. Eine Idee warum? Wie oben erwähnt: Daheim, im Büro, im Auto und auf unserem Grundstück ist er unglaublich toll. Sobald wir allerdings auch nur annähernd den Hof verlassen, mutiert dieses perfekte Wesen in einen Gibsonator. Alles ist interessant. Interessanter als seine Leinenhalter. Er gibt Gas. Volle Pulle. Er will alles entdecken, was es zu entdecken gibt. Ein Schmetterling. Ein Grashalm. Ein Baum. Ein Radfahrer. Ein vorbeifahrendes Auto. Völlig egal. Einfach alles. Sprüche wie „Wo geht denn der Hund mit Dir Gassi?“ oder „Wer geht hier mit wem Gassi?“ können wir schon nicht mehr hören. Auch diese mitleidsvollen Gesichtsausdrücke helfen uns nicht wirklich. „Der ist aber noch sehr jung und ungestüm!“ ist noch die angenehmste Bemerkung. In der Zwischenzeit erklären wir nicht mehr die Situation, sondern nicken nur noch. Wo nur zum Henker ist der Ein-und Ausschaltknopf von diesem Hund? Selbst ein Hubschrauber lässt ihn völlig abschalten. Dort steht er dann mitten in der Pampe zur Salzsäule erstarrt und stiert diesem Flugungetüm hinterher. Gerne auch mal ein paar Minuten. Völliges Innehalten. Dann zerrt er uns wieder durch die Gegend. Die in der Zwischenzeit erreichten 27,8 Kilo fühlen sich in die Leine gestemmt an wie ein LKW. Unsere Körper haben sich radikal verändert. Muskeln die ich noch nicht mal annähernd erahnt habe sind plötzlich da. Jahrelange Situps und Liegestützen haben nicht das gebracht, was ein Gibsonator in nur 3 Monaten geschafft hat.

Nur löst dieser Muskelaufbau nicht unser Problem. Das Internet hat eine Menge zu dem Thema Leinenführigkeit und Aufmerksamkeit zu bieten. Es gibt dort alles. Tipps ohne Ende. Anleitungen wie es besser laufen kann. Wie man den Hund auf sich fokussiert bekommt. Leider hat nichts geholfen. Also blieb nur Hundeschule. Dort hatten wir jetzt einige Stunden. Es wird besser. Aber ihr hättet mal das Gesicht der Hundetrainerin sehen sollen, als er letzte Woche wieder so einen Aussetzer hatte. Nichts funktioniert mehr in so einer Situation. Namen rufen. Leckerli. Trallala. Singen. Pfeifen. Wild gestikulieren. Wir machen uns dann so richtig zum Obst. Nichts hilft.

Sobald unsere Nerven dann mal wieder blank liegen, beten wir uns immer wieder vor „Das wird schon!“. Konsequente Erziehung, Strenge, Disziplin, viel Bewegung und jede Menge Liebe wird schon helfen. Nicht nur Gibson muss lernen, wir auch. Besonders wir. Und er ist ja auch erst 3 Monate bei uns. Er kann ja nichts dafür. Alles andere ist super, perfekt, ganz wunderbar. Er hat sich toll eingelebt. Keinerlei aggressives Verhalten. Null Gebelle. Lieb, aufmerksam und kuschelbedürftig. Gesundheitlich geht es auch bergauf. Was will man mehr. So reden wir uns dann die Welt schön und alles ist wieder gut.

Trotzdem ist es schon irre, was mitten im Spielen oder Training nur eine vorbeifliegende Libelle auslöst. Schwupp, ist er raus. Aber auch so völlig raus. Er ist dann in seiner eigenen Welt. In der Gibson-Welt. Dort verharrt er, ganz still und stumm. In meinem Hinterkopf schaltet sich dann immer dieses Kinderlied in leicht veränderter Form auf volle Lautstärke: Ein Gibson steht im Walde – ganz still und stumm. Und ich wünschte mir, ich könnte neben ihm stehen. Auch ganz still und stumm. Ohne Trallala, Singsang, Pfeifen, wild gestikulierend oder 100-mal Gibson rufend, nur um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Aber irgendwann, irgendwann werden wir den Schalter finden. Dann stehen wir alle im Wald, in der Gibsons-Welt, und haben vor lauter Purpur ein Mäntlein um.

©by Marita Matschiner

Die Dunkelheit der Wildnis (Teil 5 Binsen-Land)

Die Dunkelheit der Wildnis – pic by Achim Matschiner

Jetzt geht es ans Eingemachte. Und ich rede nicht von Himbeermarmelade oder Zwetschgenkompott. Die Rede ist vom wilden Campen. Hierzu habe ich eine sehr romantische und weichgezeichnete Vorstellung. Ruhe. Stressfrei. Wenig oder keine Menschen. Natur. Wind. Sternenhimmel. Wenn Bären, dann nur die Him-, Blau- und Erdbeeren. Eine wirkliche Herausforderung sehe ich bei der Planung: alle notwendigen Dinge dabei und eingepackt zu haben. Denn mal eben zum Kiosk an der Ecke gehen, um die vergessene Zahnbürste zu kaufen, ist in diesem Falle etwas schwierig – mitten im Nirwana. Improvisieren kann man ja immer irgendwie. Aber aus Ästen, Blättern und einem Kaugummipapier eine Zahnbürste basteln? Muss ja nicht sein. Wir heißen ja auch nicht Mac Gyver. Daher besser alles vorab geplant und eingepackt.

Morgen ist Feiertag und das Wetter ist perfekt für unseren ersten Wildcamping-Ausflug. Am späten Nachmittag brechen wir auf. Der Weg führt erst einmal über eine Bundesstraße, dann Autobahn. Nach gefühlten 30 Minuten sind wir auf einem einsamen und holperigen Kiesweg gelandet. Jetzt schon weit ab vom Schuss. Vorbei an einsamen, halb verkommenen Bauernhöfen und ausgestorbene Gasthöfen. Durch einen Wald, über Holzbalken mitten hinein in die Einsamkeit. Links von unserem Kiesweg geht es steil Bergab, rechts geht es steil Bergauf. Ich sitze kerzengerade auf meinem Beifahrersitz. Jeder Muskel steht unter Spannung. Meine Nägel verewigen sich völlig unkontrolliert in die Handinnenflächen. „Lieber Herrgott. Bitteee, lass uns kein Auto entgegenkommen!!!“ Jetzt geht es auch noch steil bergab. Oh man, ich komme mir vor wie in einer Achterbahn. Um die Kurve rum und da jauchzt mein Mann neben mir: „Da ist es! Wir sind da! Schau wie schön. Und wir sind ganz alleine.“

So viel Wildnis. Soviel Bäume. Direkt an der schönen Ammer. Dieser Platz ist garantiert für jeden Kanuten ein Traum. Vor uns eine Brücke, die zum stillgelegten Wasserkraftwerk Kammerl führt und die für morgen geplante Wanderung der Startpunkt ist. Die Ammer wird hier rechts mit Wald gesäumt und auf der anderen Seite mit großen Steinen. Hier bleiben wir. Ganz klar.

Stühle und Tisch sind aufgestellt. Markise ausgerollt. Boah, wie schön. Kein Handyempfang. Keine Störungen. Die Natur spielt ein Lied für uns. Bäume quietschen und bewegen sich im Wind. Vögel zwitschern. Grillen zirpen. Da fährt ein WOMO mit zwei Kanus auf dem Dach auf uns zu. Ein junges Pärchen steigt aus. Begutachtet den Wasserstand. Steigen wieder in Ihr Womo ein. Sie fängt an zu kochen, während er Zeitung liest. Danach schließen sie von innen die Tür und schalten das Licht aus. Kurz darauf kommt ein VW Bus um die Ecke. Eine Familie mit zwei Kindern. Schauen sich auch den Wasserstand und die Gegend an. Gehen zum Bus, parken um, essen ein paar belegte Stullen und gehen schlafen. Da sitzen wir wieder in der Einsamkeit. In der totalen Stille mitten im Sonnenuntergang und fühlen uns schon wieder wie Hippies! Nach dem Sonnenuntergang folgt Dunkelheit. Und ich meine Dunkelheit. Kein Licht. Keine Straßenlaternen. Keine Ortsbeleuchtung. Einfach nur pure Schwärze und der Sternenhimmel über uns.

Auch Hippies müssen irgendwann schlafen. Daher ist jetzt Sleepiezeit. Man sieht ja eh nix mehr. Mein Mann entscheidet sich, auf der Liege unter freiem Himmel zu nächtigen. Schlafsack ausgerollt und gut ist. Henry und ich schlüpfen in unser Hochbettchen im Bus. Ich genieße noch ein paar Seiten auf meinem Kindl. Immerhin habe ich ihn mir speziell für diese Ausflüge gekauft. Denn mit Stirnlampe zu lesen ist unbequem und lockt unnötig Mücken an. Darum habe ich mich zu dieser elektronischen Lösung durchgerungen (eigentlich bevorzuge ich Papier), um mich in den Schlaf zu lesen. Ist super. Klappt nämlich. Zumindest für zirka eine Stunde. Dann schrecke ich hoch und muss dringend der Natur ihren Lauf lassen. Pippilotta haben wir mit dabei. Aber mitten in der Nacht aufbauen? Ach, da geht doch auch das Waldstück. Schnell nach der parat hängende Stirnlampe greifen und leise die Tür öffnen. Damit der Hund, mein Mann und auch die zeitweiligen Nachbarn nicht wach werden. Soll ja keiner sehen wie ich in Shorts, T-Shirt, Uggs (völlig unterschätzte Campingschuhe) und mit schräg sitzender Stirnlampe auf den zerzausten Haaren in den Wald husche. Aber erst die Stirnlampe anschalten. In dieser unbekannten, dunklen Welt macht es durchaus Sinn ein bisschen was zu sehen. Ich will ja nicht in den Bach stürzen oder gar gegen den nächsten Baum laufen. Hoffentlich sieht auch keiner das Licht. Kaum hab ich diesen Gedanken gedacht, schon geht mein Kopfkino los: Wie sich Vorhänge im WOMO zur Seite schieben, das junge Pärchen mich amüsiert beobachtet. Es gibt nicht so viele natürliche Dinge, die mir wirklich peinlich sind. Aber das irgendwie schon. Warum eigentlich? Ach, die Blase drückt. Kopfkino, aus! Ende! Ich stolpere ein paar Schritte weiter. Bin ich da gerade auf eine Schleimschnecke getreten? Oder war das eine Schlange? Schnell die Stirnlampe auf dem Kopf einschalten. Shitt. Den Knopf habe ich gefunden. Aber bewegen tut er sich nicht! Mann, echt jetzt! Nochmal runter vom Kopf. Konzentriert reiße ich die Augen auf, um in der verdammten Dunkelheit zu sehen, in welche Richtung ich diesen scheiß Knopf bewegen muss! Ah, jetzt bewegt er sich. SCHEISSE! Au! Das tut weh! Der Schmerz bohrt sich wie glühende Nadeln durch die Augen, direkt in meinen Hinterkopf! Die Lampe ist endlich an. Ich Depp habe den Lichtstrahl direkt in die Augen gehalten. Hilfe! Ich bin blind! Jetzt kann ich gar nichts mehr sehen. Ich setzte die Stirnlampe auf und husche schnell in die Richtung, wo der Weg in den Wald gehen müsste. Ich blinzle die Flecken weck, die sich nun langsam ins Sichtfeld schieben. Schnell hinter das Gebüsch und gut ists. Wieder zurück. Die Schuhe lasse ich vorsichtshalber vor dem Bus stehen. Wer weiß in was ich da getreten bin. Bloß nicht drüber nachdenken! Sonst finde ich gar keinen Schlaf mehr. Rosa Elefant. Blumenwiese. Ha, erfolgreich abgelenkt. Zufrieden huschle ich mich wieder zurück ins Bett. Zurück zu meinem Hund.

Nächster Morgen. Kaffee. Unsere Nachbarn schlafen alle noch. Komisch. Die sind gegen 21:00 Uhr alle ins Bett gegangen und schlafen um 7:30 immer noch? Ich dachte immer, der frühe Vogel fängt den Wurm. Gilt wohl nicht für junge Pärchen, die Kanu fahren wollen. Wir machen Katzenwäsche am Fluss, putzen die Zähne. Ziehen die Wanderschuhe an und los geht’s. Auf zu den Schleierfällen. Wir erreichen sie innerhalb kürzester Zeit. Schön sind sie und toll. Beeindruckend, was die Natur von alleine, ohne fremde Hilfe, für Schönheiten erschaffen kann. Irre. Und wir Menschen schaffen es ausnahmsweise auch tatsächlich, diese Schönheit zu erhalten und nicht zu zerstören. Gut so. Weitermachen.

Auf dem Rückweg kommen uns alle 5 Minuten neue Wanderer entgegen. Wo kommen die denn alle her? Zurück am Bus stellt sich uns noch eine weitere Frage: Wann und wie sind die ganzen Busse, Womos und Kangoos hier angekommen? Es müssen um die 30 Autos sein. Alles pilgert entweder mit Rucksack Richtung Wanderweg oder mit Kanu Richtung Wasser. Mein lieber Herr Gesangsverein. Da wird dann auch kräftig was los sein heute.

Während alle anderen jetzt um den besten Platz im Wasser, am Wasserfall oder im Stau kämpfen, gehen wir erst einmal gemütlich Mittagessen. Bis die alle an ihrem Ziel angekommen sind, sind wir schon wieder daheim. So mag ich das. So habe ich mir das vorgestellt, das wilde Campen zu wilden Zeiten. Und hierfür ist Eda auch vorgesehen. Das wird nun einer ihrer Aufgaben sein. Uns sicher und heile an einen ruhigen Platz bringen. Uns in der Nacht Schutz bieten und dann wieder sicher und heile nach Hause bringen. Danke Eda! Du hast mir wieder einmal erfolgreich geholfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen und zu entdecken. Und apropos Augen: bei nächsten Trip werde ich vorsichtshalber eine Sonnenbrille neben die Stirnlampe hängen. Sicher ist sicher.

© by Marita Matschiner

    

Vorfreude ist die schönste Freude – wenn da nur nicht diese beschissene Warterei wäre

Gibson makes the World go round – pic by Achim Matschiner

Wir bekommen spät Abends von einer Freundin ein Foto von einem Hund zugeschickt. Er sucht dringend ein neues Zuhause. Momentan ist er in Montenegro und hat kein gutes Leben. Und leider auch keine tolle Zeit hinter sich. Er muss dringend aus diesem kleinen und dreckigen Zwinger raus. Ob wir nicht jemanden mit einem sportlichen und aktiven Leben kennen, der sich einen braven, verspielten und liebevollen Hund als Familienmitglied vorstellen könnte. Mmmhhhh? Das hat sie ja mal genau richtig eingetütet: ein schlimmes Foto mit einer herzzerreißenden Geschichte. Seine Augen so vertrauensvoll. Mit viel Gefühl, aber trotzdem unheimlich traurig. Armes Kerlchen. Für uns steht fest: den müssen wir kennen lernen! Im Fernsehen läuft gerade „Braveheart“. Ein im Gesicht blau angemalter Mel Gibson wedelt wild mit einem Schwert und brüllte aus Leibeskräften. Und schon hat der Hund intern bei uns einen neuen Namen: „Gibson“. Erste Bindungsphase abgeschlossen. Eine unterbewusste Vorfreude wabert langsam durch unsere Gedanken.

Nach einige Diskussionen und etlichen Gesprächen haben wir uns entschieden: Gibson wollen wir nicht nur kennenlernen – er soll bei uns ein neues Nest finden. Ein neues Zuhause. Mit viel Liebe und Aufmerksamkeit. Dinge erleben, die Welt entdecken und jede Menge Bewegung und Sport haben. Spiel, Spaß und Spannung quasi inklusive. Ein Gibson-Überraschungsei!

Vier Wochen müssen wir warten bis wir endlich einen Liefertermin haben. Hört sich krass an, oder? Ein Liefertermin für einen Hund. Nicht für ein Bett, einen Schrank oder eine Mülltonne. Nein. Für einen Hund. Umgehend haben wir den geplanten Urlaub mit Freunden abgesagt. Das Familienfest in Niedersachsen auch gleich. Wir wissen, wir haben mit der Absage einige Familienmitglieder und Freunde enttäuscht. An dieser Stelle ein ganz, ganz großes und herzliches DANKE. Danke, dass ihr alle, jeder in seinem Maße, Verständnis für unsere Situation hattet und habt. Es kommt für uns ein neues Familienmitglied. Wollen wir dann umgehend mit ihm auf Reisen gehen? Stundenlange Autofahrten? Fremde Umgebungen? Viele unbekannte Menschen? Nein! Das kommt für uns nicht in Frage. Er soll erst einmal ankommen. Uns und seine neue Umgebung kennenlernen. Nicht mehr hin- und hergeschubst werden. Sich endlich mal willkommen fühlen und Geborgenheit kennen lernen.

An unserem ersten Urlaubstag können wir ihn bei einer Privatfamilie im Laufe des Tages abholen. Ich nutze den Vorabend und zeige mich als verantwortungsbewusste Hunde-Mama: shoppen für den Hund. Das neue Körbchen steht seit Wochen parat. Leine, Halsband und Handtücher liegen schon ewig an ihrem Platz. Ebenso neue Näpfe. Wir, äh sorry, Gibson braucht nur noch ein bisschen Spielzeug und ein Kuscheltier. Pssst! Ich will jetzt nichts hören von wegen „Ist ein Hund!“ oder „Immer diese Vermenschlichung!“. So bin ich. So ist mein Mann. Gibson soll sich wohl bei uns fühlen. Wir wollen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Und immerhin, ein Kuscheltier schadet niemandem. Auch einem Hund nicht. Während ich so im Hundeparadies stöbere ereilt mich ein Anruf. Die Fahrer des Gibson-Transport sind früher los und kommen daher schon heute statt morgen an. So gegen 22:00 Uhr. Umso besser. Kriegen wir hin. Die Vorfreude steigt. Jetzt erst einmal weitershoppen – alles gut. Das erstandene Spielzeug (Ball, Frisbee und Knotenseil) wird daheim erst einmal voller Stolz präsentiert. Gegen 20:00 Uhr kommt wieder ein Anruf. Die Fahrer stehen im Stau und sind erst gegen 0:00 Uhr am Übergabeort. Doof, aber hey, was solls. Passt schon. Dann kommen wir eben gegen 0:00 Uhr. Kaffee und Red Bull werden das schon hinbekommen. Unsere Nervosität und Aufregung übernehmen den Rest.

Um 23:00 Uhr ziehen wir Schuhe und Jacke an. Da schrillt das Handy. Die Fahrer stehen wieder im Stau. Wird wohl erst 3:00 Uhr morgens. Mmmhhh. Kann man nichts machen. Stehen wir auch noch durch. Eh schon egal.
Um 2:00 Uhr noch ein kurzer Check vor der einstündigen Fahrt: Leckerlies, Wasser, Napf, Halsband und Leine. Für den Notfall auch schon die erste Kacktüte. Vorsichtshalber noch eine zweite. Alles am Start. Wir düsen los. Das erste Drittel haben wir hinter uns, als das Telefon erneut klingelt. Leicht verschlafen erzählt uns eine weibliche Stimme, dass es leider doch noch etwas länger dauert. Aber 5:00 Uhr sollte klappen. Wo ist die versteckte Kamera? Hier veräppelt uns doch einer! Muss das sein? Scheint wohl so. Ändern können wir es ja eh nicht. Da müssen wir jetzt durch. Und Gibson leider auch.

Da fahren wir nun. Mitten in der Nacht. Zu weit weg von daheim, um noch einmal umzudrehen. Zu früh dran, um bei der Übergabestelle die Straße hoch und runter zu laufen. Unser Adrenalinspiegel steht auf super-duper-Level und wir sind hellwach. Wir wollen doch nur diesen Hund. Unseren Gibson endlich in die Arme nehmen! In der Nähe vom Zielort gibt es einen Autohof an der Autobahn. Den peilen wir an. Dort angekommen sind wir die einzigen, außer dem Tankwart, die die Zeit in Benzindämpfen unterm Sternenhimmel totschlagen. Kalt ist es auch noch. Der große Zeiger bewegt sich irgendwie zu langsam. Geht die Uhr überhaupt? Nach gefühlten endlosen Stunden ist es 4:45 Uhr. Ein Anruf. Gibson ist da. Wir können los. Das lang ersehnte Treffen ist greifbar. Quasi gleich um die Ecke. Nur noch ein paar Minuten. Red Bull hätten wir uns schenken können. Wir sind so schon aufgeregt genug und total nervös. Gleich. Gleich ist es soweit. Wir schwelgen in romantischen Vorstellungen. Seit Wochen. Aber jetzt ist es endlich soweit. Phantasie wird Realität. Gleich. Gleich. Gleich.

Wir treffen auf die Sekunde pünktlich ein. Die Eingangstür öffnet sich. Ein ziemlich übernächtigter Mann mit strubbeligen Haaren steht in der Tür. „Gibson ist in der Küche.“ Wir schleichen langsam, erwartungsvoll und Schritt für Schritt näher. Gehen behutsam in die Hocke, um ihn beim ersten Kontakt nicht zu verschrecken. Wollen ihn angemessen begrüßen. Er steuert auf uns zu und läuft an uns vorbei. Wie jetzt? Lässt unser Karma uns im Stich? Ein anderer Hund kommt um die Ecke gerannt und steuert direkt auf uns zu. Gibt Küsschen, hüpft auf meinen Schoss, schmust. Aber Gibson interessiert sich nicht die Bohne für uns. Ich zücke meine selbstgebackenen Bestechungskekse. Leckerlies aus Quark und Babybrei (Karotte und Kartoffel). Die Hunde um uns rum lieben die leicht unförmigen Kekse und klauen mir einen nach dem anderen aus der Hand. Gibson kommt zurück. Bleibt stehen, schnuppert. Schwupp, weck ist das Leckerlie. Er stapft weiter und vergrößert die Strecke wieder zwischen uns. Mhhh… was jetzt? Mag er mich nicht? Mein erwartungsvolles Lächeln weicht einem leicht verbissenen Merkel-Ausdruck. Ein bisschen Enttäuschung gepaart mit Panik kämpfen sich Millimeter weise durch meine freudige Erwartung. Ich versuche sie wieder zurückzudrängen. Mein Mann geht zu ihm. Setzt sich zu ihm auf den Boden, redet ruhig auf ihn ein. Stülpt ihm sein neues Halsband über. Gibson wehrt sich nicht. Bleibt bei ihm. Jetzt wollen wir kurzen Prozess machen und eigentlich nur noch nach Hause. Ihn vor vollendete Tatsachen stellen. Also auf zu unserem Bus. Er hüpft sofort und freudig hinein. Ich setze mich zu ihm. Gibson hüpft von Bank zu Bank. Runter auf den Boden und wieder zurück. Wie ein 25 kg schwerer Flummi. Ich kann ihn kaum halten, geschweige denn zur Ruhe bringen. Nach geschätzten 20 Minuten wird er dann doch ruhiger. Ich befürchte eher aus Erschöpfung und nicht aus Entspanntheit. „Wird schon irgendwie“ bete ich in mich hinein.

Zuhause angekommen trinkt er Unmengen an Wasser. Erledigt sein Geschäft und verschlingt seine erste „bayrische“ Mahlzeit. Nach längerem Geschnupper fällt er zufrieden auf seinem Schaffell in einen tiefen Schlaf. Im Hintergrund der Sonnenaufgang.

Ich fühle mich wie ein ausgelutschter Kaugummi. Völlig übernächtigt. Total erledigt. Fix und fertig. Doch da ist sie! Die romantische Vorstellung, die zur Realität wird. Ich kann sie fühlen, greifen und überhaupt. Ich bin glücklich. Wir sind glücklich. Überglücklich. Der Himmel über uns müsste vor rosa Einhorn-Glitzer erstrahlen. Wir lehnen uns seelig lächelnd zurück. Stoßen mit unseren Kaffeebechern an: „Auf Gibson und unser gemeinsames Leben!“. Was für ein tolles Gefühl. Welche Zufriedenheit so eine Seele in ein Leben zaubern kann. Welche Glückseligkeit durch uns hindurch strömt. Und dieses Leben fängt jetzt erst an. Immer wieder würde ich alles genau so machen. In die Vorfreude völlig eintauchen, genießen und auskosten. Bis zum Letzten aufsaugen. Das beste Gefühl der Welt. Wenn nur diese scheiß Warterei vorab nicht wäre.

© by Marita Matschiner 

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Der Zauber vom Zuhause

pic by Achim Matschiner

„Nirgends ist es so schön wie daheim“ – Dorothy Gale „Der Zauberer von Oz“

Diesen Satz sagte Dorothy in ihren wunderschönen roten Glitzerpumps. Klack-klack-klack – die Hacken zusammengeschlagen und diesen Satz mit geschlossenen Augen mehrmals wiederholt. Um endlich den erwarteten Wunsch wahr werden zu lassen: wieder nach Hause kommen! Ich brauche meine Augen nicht zu schließen. Ich brauche auch nicht die Hacken mehrmals zusammenschlagen. In diesem Ausnahmefall brauche ich auch keine roten Glitzerpumps (auch wenn diese ein Kindheitstraum von mir sind). Unser Urlaub ist vorbei und wir sind auf dem Heimweg. Wir freuen uns schon sehr auf unser Zuhause. Können es kaum erwarten endlich wieder in unserem Heim zu sein. Wir lieben unsere vier Wände und sind einfach gerne dort. Trotzdem: wir haben noch nicht einmal die deutsche Landesgrenze erreicht und schon fange ich an, über die vielen Möglichkeiten unseres nächsten Urlaubs nachzudenken. Immerhin ist es ja die schönste Zeit des Jahres. Das muss gut geplant und vorbereitet sein. In unserer kleinen Familie hat sich in diesem Sommer ein Fakt geändert. Wir haben ab jetzt ein paar Freiheiten mehr und die Urlaubswunschliste hat sich etwas verlängert. Bisher waren Urlaube mit dem Flugzeug keine Option. Jetzt steht uns die Welt offen und wir können diese erkunden.

Zu Hause angekommen spreche ich das Thema gleich einmal an. Wir diskutieren die einzelnen Destinationen durch. Listen Vor- und Nachteile auf. Politische Situationen. Da sind gleich einige Länder raus. Da muss ich noch nicht einmal drüber nachdenken. Anreisedauer. Wir haben keine Lust stundenlang im Flieger zu sitzen, um das Ziel zu erreichen. Das Ganze dann auch noch einmal zurück. Nein, danke! Sprachbarriere. Für Frankreich habe ich acht Wochen lang gebüffelt. Jeden Tag. Vor Ort guckte man mich bei meinen Versuchen mich in der Ländersprache zu verständigen nur komisch an und verdrehte die Augen. Last but not least: die Dauer des Aufenthalts. Das ist für uns ein immens wichtiger Punkt. Wir sind eigentlich „Kurzurlauber“. Wir sind möglichst nicht länger als zehn Tage unterwegs. Die Vorstellung einen zweiwöchigen Urlaub am Freitagabend in Richtung Flughafen zu starten und eine Woche später am Sonntag wieder nach Hause zu kommen, um am Montagmorgen gleich wieder in die Arbeitsmühle zu marschieren, geht gar nicht. Das ist für uns tatsächlich schon in Stein gemeißelt: Kommt für uns nicht in Frage. Aber manche Reiseziele funktionieren einfach nicht in zehn Tagen. Mhhh. Schlamassel. Um diesem zu entkommen bzw. die Entscheidung nach dem „Wohin“ zu erleichtern, stelle ich mir eine ganz grundlegende Frage: Was ist am Urlaub wirklich wichtig? Worauf freuen wir uns wirklich, wenn es um unsere freien Tage im Jahr geht? Eine Antwort zu finden, ist bei genauerer Betrachtung gar nicht so einfach.

Für eine Freundin und ihren Mann ist Reisen eine Mission. Sie ist mit ihm bei jeder Gelegenheit unterwegs. Entweder an das andere Ende der Welt oder einfach eine fremde Stadt erkunden, die nur eine Stunde mit dem Zug entfernt ist. Vor Jahren war sie monatelang mit ihrem Mann und zwei Rücksäcken unterwegs. Einmal um die ganze Welt. Andere Freunde sind gefühlt alle vier bis sechs Wochen unterwegs. Entweder im Hotel, mit dem VW-Bus oder bei Familie und Freunden. Allein die Anzahl der Ausflüge und Urlaube dieses Jahr überschreitet meine bisher eingereichten Urlaubstage. Jeder von uns hat unterschiedliche Beweggründe. Welche sind das? Warum wollen wir möglichst viele Tage unterwegs sein? Was zieht uns in die Welt? Ist es das Entdecker-Gen? Möglichst viele neue Eindrücke bekommen und neue Dinge sehen? Oder doch eine innerliche Unruhe? Mit dem gelebten Leben nicht so ganz zufrieden zu sein, wie eigentlich gedacht, gehofft oder erträumt? Sind diese Urlaube in Wahrheit eine Flucht vor dem Alltag? Vor der Arbeit? Vor unseren alltäglichen Verpflichtungen? Oder sind es am Ende ganz banale Gründe? Entspanntes Ausschlafen. Kein Wecker. Keine Meetings. Keine Telefonate. Mal keine Betten machen und der morgendliche Frage vor dem Kleiderschrank entfliehen? Einfach von der Routine ausbrechen? Ist es die Sucht danach nichts-tun?

Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Wohltat für mich ist, 14 Tage auf einer Liege im Pauschalurlaub zu liegen und sich bedienen zu lassen. Den Kampf am Buffet als einzige Herausforderung zu haben. Das hin und her Überlegen, ob man nun einen Long Island Ice Tea oder einen Caipirinha bestellt. Welche Form und Farbe der Strohhalm hat, als größte Überraschung des Tages zu sehen. Oder lieber durch fremde Städte schleichen, um die Errungenschaften längst verstorbenen Menschen zu bewundern. Oder: Der Versuch, krampfhaft in der Landessprache ein Getränk zu bestellen, während der Kellner einen einfach nicht verstehen will. Aus welchem Grund auch immer. Ganz fies ist es dann festzustellen, dass er am Nachbartisch fließend mit den anderen Gästen aus der Heimat auf Deutsch spricht und Witze reist. Da glaubt man echt, im falsche Film zu sein. Und überlegt in diesem Moment krampfhaft, was man falsch gemacht hat oder was mit einem nicht stimmt.

Ein anderer Aspekt. Will ich mich im Urlaub lieber beim Sport auspowern und die Endorphin-Ausschüttung bis ans obere Limit bringen? Zurück ins Hotel kriechen, weil der Körper wegen der extremen Belastung einfach bei Null angekommen ist. Dann kommen noch die Postkarten. Auch wenn wir im WhatsApp- und Facebook-Zeitalter angekommen sind. Ich möchte meine Familie und meine Freunde an unseren tollen Erlebnissen teilhaben lassen. Das endet meist in einer krampfhaften Suche nach einem Laden mit Postkarten, der dann auch die passenden Briefmarken hat. Anschließend setzt man sich gemütlich irgendwo hin und möchte unbedingt einen tollen Einblick in seine schönste Zeit des Jahres geben. Und dann: Schreibsperre! Es folgt: „Tolles Wetter! Tolles Essen! Hoffentlich bis bald und liebe Grüße!“

Wieder zu Hause endet der Urlaub dann im Stress des Wäschewaschens. Bügeln, Aufräumen, Koffer verstauen. Ganz schlimm ist dann der erste Arbeitstag. Der Vormittag ist gefüllt mit hinreißenden Erzählungen. Der Nachmittag dann mit möglichst viel Aufarbeiten der liegengebliebenen Arbeit. Der reguläre Arbeitstag wird mit den ersten Überstunden gefüllt. Abends folgt der Urlaubs-Jetlag. Der mitgebrachte Wein schmeckt nicht so gut wie im Urlaubshort. Ich bin fix und fertig. Ich denke sehnsuchtsvoll an den letzten Urlaub. Aber an was genau? An das Ausschlafen? An die fremden Dinge? Die neuen Impressionen? Der Kampf, ein Getränk zu bekommen? Und an die Qual der Wahl, welches Getränk ich denn überhaupt bestelle? An die meetingfreie Zone? An das stille Telefon. An das totale Auspowern beim Sport. An das In-den-Tag-hineinleben? Ohne Verpflichtungen. Ohne Alltagsstress. Es scheint also eine Kombination von allem zu sein. Für mich zumindest.

Dorothy hatte leider nur bedingt Recht – trotz traumhafter roter Glitzerpumps. Nichts ist so schön, wie nach Hause zu kommen und seiner Fantasie über zukünftige Reisen freien Lauf zu lassen. Wohin wird es uns als nächstes ziehen? Und was werden wir dort alles erleben? Und natürlich: Welches Getränke werde ich bestellen und wird es am Ende auch serviert?

© by Marita Matschiner