Täglich grüßt das Murmeltier! Manchmal auch mehrmals am Tag (Womo-Tour Teil 4)

Oldtimer-Womo – pic by Achim Matschiner

Frisch gestärkt dümpeln wir am nächsten Morgen los Richtung Niedersachsen. Das angekündigte Familienfest steht an. Wir sind nur ein paar Stunden davon entfernt. Wie es das Schicksal will, landen wir wieder einmal im Stau. Um es dann auch noch ganz unschön werden zu lassen, wird aus dem Stau eine Totalsperrung. Die Polizei lotst uns von der Autobahn runter. Wir haben das große Glück mit vielen anderen Autofahrern auf einer Landstraße vor uns hin zu stauen. Stop-and-Go fahren macht echt Spaß! Ich habe lange nicht mehr so viele unzufriedene Gesichter auf einem Haufen gesehen.

Nach etlichen Kilometern dürfen wir endlich wieder auf den Highway und die erste Ausfahrt, ein Autohof, gehört uns. Ein großer Cappuccino wird die Stimmung in unserem schönen grünen selbst lackierten Womo, der kurz davor steht ein Oldtimer-Kennzeichen zu erhalten, erheblich aufhellen. Daher gar nicht lange rum hampeln. Sondern direkt auf den Parkplatz vor einem Fastfood-Laden zusteuern. Während wir uns noch sortieren, Geldbeutel aus der Tasche, Navi verstecken, erscheint Besuch an der Beifahrertür sowie auch an der Fahrertür. Wir zucken zusammen. An jedem Fenster steht ein uniformierter Polizist.

Durch das Fenster geben sie uns zu verstehen: sitzenbleiben und die Fenster runter kurbeln. Ich glaube, ein Bitte kam in den Gesten nicht vor. Bin mir aber nicht ganz sicher. Also gut, Fenster runterlassen. Da das Womo ja etwas älter ist, erst einmal kräftig die Oberarme anstrengen und kurbeln was das Zeug hält. Kaum sind sie zur Hälfte unten, schallt es von beiden halboffenen Fenstern: „Nicht mit einander reden oder anschauen! Schauen Sie nur den Polizisten an, der an ihrem Fenster steht!“ Huch. Dieser Ton in Kombination mit der Uniform löst in meinem Körper erst einmal einen Reflex aus: er stellt sich umgehend in den Modus „Stillgestanden und Haltung annehmen“. Ein leichtes Kopfnicken kriege ich gerade noch so hin.

Die erste Frage erschlägt mich umgehend: „Guten Morgen. Nehmen Sie Drogen?“ „Äh –  nein, tu ich nicht.“ „Haben Sie schon einmal Drogen genommen? Oder verschreibungspflichtige Medikamente?“ – „Äh –Aspirin und Ibuprofen fallen nicht unter Drogen und sind frei erhältlich.“ (Meine Sicherheit kommt langsam wieder.) „Haben Sie heute Alkohol getrunken? Wenn nein, wann das letzte Mal?“ „Nein, heute noch nicht. Mmhhh… gestern Abend. Weißwein um genau zu sein.“ „Nehmen Sie sonst irgendwelche Rauschmittel zu sich?“ (Ich denke: Was gibt es denn noch?) „Nein. Zigaretten sind ja keine Rauschmittel.“ Ich hebe eine Schachtel und zeige sie ihm. „Diese hier.“ Auch wenn ich mich sicher anhöre, innerlich bin ich alles andere als das. Ich fühle mich total unter Beobachtung und bin überzeugt ein völliges Fehlverhalten an den Tag zu legen. Genauso wenn ein Polizeiwagen hinter mir her fährt. Ich schaue dann schlagartig auf den Tacho und kontrolliere ob das Licht an ist. Überlege wo der Verbandskasten ist und ob ich eine Warnweste dabei habe. Es ist alles ok. Das weiß ich. Aber das Gefühl, gleich in Untersuchungshaft zu laden, geht auch dadurch nicht weg. Ich habe keine Ahnung warum, aber mein Puls und mein Bauch sind sich jetzt auch auf diesem Parkplatz einig: ich lande hinter Gittern.

Mein Mann zeigt seinen Führerschein und die Autopapiere. Die sind schon mal in Ordnung. Puuhhh. Nach der Klärung, wo das Womo hingehört (denn es passt optisch gar nicht zu den Insassen und läuft anhand der Papiere ja auch nicht auf unseren Namen), was unser Ziel sei und was wir hier auf dem Autohof wollen, lächeln die Polizisten. Nach der „Präsentation“ des Verbandkastens, Warndreiecks und unserer Warnwesten (sogar eine eigene für unseren Hund), waren sie völlig entspannt. Entschuldigen sich lächelnd für das ruppige Verhalten. Auch für ihre Vorurteile dem Wagen bzw. den angenommenen Insassen gegenüber. Sie haben ganz andere Menschen in dem grünen Oldtimer-Womo erwartet. Ich tippe auf besoffene Drogensüchtige die auf dem Autohof Leute ausrauben wollen und im Anschluss eine wilde Sexpartie feiern. Die Beamten verhalten sich jetzt total freundlich und zuvorkommend. Eigentlich würde mich eine Einladung auf einen Kaffee nicht wundern. Kaffee auf Staatskosten, auf einem Autohof, in einem Fastfood-Laden und in Begleitung zweier junger Polizisten. Das wär ne Nummer!

Sie wünschen uns noch eine gute und sichere Fahrt. „Und viel Spaß auf dem Familienfest!“ Einer dreht sich noch einmal um und ruft uns zu „Lassen Sie sich mit dem Kaffee Zeit. Oder vielleicht trinken sie gleich zwei und essen noch was. Auch wenn Ihre Feier nur ein paar Kilometer entfernt ist, es gab einen Unfall und die Autobahn ist schon wieder gesperrt!“.

© by Marita Matschiner

 

Always Look on the Bright Side of…

Monty Python’s Life of Brian – Handmade Films Ltd. (1979)

Die dritte Woche im neuen Zeitalter „Mitten drin statt nur dabei“ ist angebrochen. Die dritte Woche im Homeoffice für meinen Mann, mich und unseren Hund Gibson. Die dritte Woche mit dem Corona-Virus und den Einschränkungen. Wir sehen jetzt die Auswirkungen auf Menschheit, Wirtschaft, Familiensituationen, finanzielle Verluste und Psyche. In den Nachrichten wird viel erzählt, diskutiert, berichtet und ganz besonders viel spekuliert. Die geradezu unpersönlichen Kommunikationsmedien wie Facebook, Twitter, WhatApp, Videotelefonie usw. laufen zu Höchstleistungen auf. Das alles kann einen schon sehr runterziehen und mit der Zeit deprimieren.

Die Lage ist kritisch, glaubt ein Teil der Bevölkerung. Andere halten es nicht für notwendig, ihr Leben und ihre Gewohnheiten anzupassen. Nichtsdestotrotz sind Toilettenpapier, Nudeln und Desinfektionsmittel restlos ausverkauft. Irgendwann müsste doch mal der Lagerräume in den Privathaushalten völlig ausgeschöpft sein. Wo verstauen die Leute nur all das Zeug? Verstehen würde ich es ja, wenn Babynahrung ausverkauft wäre. Einer unserer ersten Maßnahmen war, für unseren Gibson genügend von seinem Spezialfutter auf Lager zu haben. Ebenso seine wichtigen Medikamente. Nicht zu vergessen die vegetarischen Leckerlies (gesundheitlich bedingt). „Sein“ Lagerraum für all seine Dinge war relativ schnell aufgefüllt und bietet nun keinen Platz mehr. Auch nicht für eine Rolle Toilettenpapier. Unser Gibson wird nicht verhungern und seine Gesundheit wird auch nicht leiden. Zumindest für die nächsten sechs bis acht Wochen. Und dann sehen wir weiter.

Unser Einkaufsverhalten haben wir 100% dem Angebot in unserem Lebensmittelladen im Ort angepasst. Gibt es keine Nudeln, weichen wir auf Reis oder Kartoffeln aus. Oder wir machen Pasta einfach selber (Mehl, Eier, Salz und Olivenöl). Hat man momentan fast immer im Haus.

Bei unseren notwendigen Fahrten zum Supermarkt alle drei Tage ist mir aufgefallen, wie entspannt das von mir sonst so sehr verhasste einkaufen von Lebensmitteln geworden ist. Früher war das ein Hauen und Stechen. Jeder wollte der Erste sein. Keiner wollte dem anderen Kunden Platz machen oder den Einkaufswagen auch nur einen Millimeter auf die Seite schieben. Diese Einstellung hat sich völlig in Luft aufgelöst. Obwohl es in unserer jetzigen Situation eigentlich eher umgekehrt sein sollte. Das Toilettenpapierangebot ist ja begrenzt (verstehe ich immer noch nicht!). Stattdessen sind die shoppenden Personen freundlich, zuvorkommend und rücksichtsvoll. Es ist ein netter, auf Abstand basierender Umgang miteinander. Man grüßt sich. Lächelt sich dabei an. Auch beim Spazieren gehen und beim Outdoor-Sport. Früher wurde mein „Guten Morgen“ oder „Hallo“ zu 95% ignoriert. Oder ich wurde giftig angeschaut, weil ich mit Höflichkeit „gestört“ habe.  Jetzt habe ich den Eindruck, alle besinnen sich wieder auf Werte, die in den letzten Jahren verdrängt wurden. Verdrängt durch Zeitnöte, Kommerzialisierung, Egoismus, Intoleranz und Statusdenken.

Letzte Woche sind mir auf dem Parkplatz eine Mutter mit ihren zwei Teenager-Mädels aufgefallen. In der Vergangenheit war Mama immer alleine. Höchstens mit einem Töchterchen unterwegs, welches gemault hat und keinerlei Ambitionen hatte, Mama zur Hand zu gehen. Aber an diesem Tag waren die Mädels frohlockend und beide dabei. „Endlich raus und shoppen gehen!“ Auch wenn es nur bei Aldi ist. Hauptsache raus und was anderes sehen. Sie lachten alle drei und hatten echt Spaß miteinander. Was für ein schönes Bild!

Am Anfang hatte ich ein bisschen Respekt davor, solange Daheim zu sein. Nur zu Hause mit meinem Mann und meinem Hund. Wir haben unsere Tage gut geplant und vergessen trotz Arbeit und Verpflichtungen nicht den Anderen. Wir haben einen höflichen Umgangston miteinander. Sagen brav „Danke“ und „Bitte“. Versuchen nichts als selbstverständlich hinzunehmen. Wir lachen unheimlich viel – vor allem miteinander. Sind zwischendurch kindisch und blödeln rum. Situationen, die ich vor ein paar Wochen noch belächelt habe, lösen jetzt einen totalen Lachanfall aus. Ich hoffe das sind nicht die ersten Anzeichen von Durchdrehen, sondern von Entspannung und Zufriedenheit in dieser gruseligen Zeit. Heute war ich sogar das erste Mal seit Jahren entspannt und zufrieden beim und nach dem Lebensmitteleinkauf. Die Kinder spielen wieder im Freien (zumindest bei uns auf dem Land). Die Spaziergänger sind harmonisch und grüßen alle.

So sehr ich diese Wandlung mit Freude betrachte, Sorgen mache ich mir trotzdem. Wie wird die Welt wohl nach Corona aussehen? Stürzen wir uns sofort wieder in die unpersönliche, unhöfliche, egoistische und schnelle Welt zurück? Oder bleibt man dann beim Spazierengehen auch mal stehen und lernt sich kennen? Grüßt man die Kassiererin mit einem Lächeln oder schmeißen wir nur unseren Einkauf auf das Rollband, in der Hoffnung, diese Verpflichtung möglichst schnell erfüllt zu haben? Wir werden es sehen. Ich hoffe, die Menschheit lernt daraus. Immerhin ist es ein globales Thema. Was uns allerdings zugutekommt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Nennt mich naiv, blauäugig oder zu optimistisch. Aber ich hoffe darauf, dass diese paar Wochen ausreichen, dass diese wiedergewonnene Gewohnheit bei den Menschen anhält und von Dauer ist. Auch nach Corona.

Es ist eine schlimme Zeit. Es ist eine harte Zeit. Aber vergesst nicht, zwischendurch das Positive zu sehen. Man muss gar nicht danach suchen. Sie sind da. In unseren Wohnzimmern. Vor der Tür. Beim Einkaufen. Nehmt es war, genießt diese Situation und lächelt.

Denn, wie hieß es eben im Radio: „Durch ein Lächeln und eine freundliche Begrüßung steckt man sich nicht mit Corona an! Ein Lächeln verbindet Menschen!“ Genau so ist es! Das geht nicht per Facebook, Twitter, WhatsApp oder Videotelefonie. Das geht nur persönlich. Von Mensch zu Mensch.

© by Marita Matschiner