Als Kind saß ich ganz gefesselt vor dem Fernseher. Nicht der Fernseher an sich hatte diese Anziehungskraft. Ich war zutiefst beeindruckt von der Darstellung des Lebens in der Film- & Serienwelt. Besonders faszinierend fand ich die dargestellten Familien-Feierabend-Abläufe. War das das wahre Leben? Glauben konnte ich das nicht so wirklich. Gerade was in der amerikanischen Seifenoper Dallas gezeigt wurde, war so weit weg von dem, was bei uns daheim ablief. Ich fragte mich immer, ob es so sein wird, wenn ich mal erwachsen bin und selber im Berufsleben stehe.
Nach einem langen harten Arbeitstag auf dem Rücken eines Pferdes, nach Stunden in der prallen Sonne auf der Koppel, kam Bobby Ewing frisch und entspannt nach Hause. Das Hemd sah aus, wie frisch von Klementine aus der Ariel-Werbung „Nicht nur sauber sondern rein!“ gewaschen und gebügelt (Werbeikone aus den 70gern und 80gern). Die Jeans war fleckenfrei und frisch gestärkt. Mit entspannten Schritten ging Bobby in den Salon. Goss sich einen Bourbon in das mit Eis gefüllte Kristallglas ein. Ein lockeres Gespräch mit den anwesenden Familienmitgliedern entstand, während Sue Ellen Ewing, die Schwägerin von Bobby, mit frisch geschminkten Lippen und perfekt sitzender Wallewalle-Mähne den Raum betrat. Miss Ellie (die Mama von Bobby) kommt lächelnd hinzu. Begrüßt die anwesenden Familienmitglieder herzlich und voller Stolz. Alle Anwesenden strahlen. Voller Vorfreude endlich im Kreise der Familie zu essen und angenehme Konversation zu pflegen.
Bei mir sieht das irgendwie ganz anders aus. Nach meinem Arbeitstag komme ich völlig zerknittert und ausgepowert nach Hause gekrochen. Das Makeup hat sich fast verflüchtigt. Und das, was noch vorhanden ist, sitzt nicht mehr da wo es sein sollte. Die Haare sind platt und eng am Kopf anliegend. Immerhin: in Woodstock wäre ich ein Superstar gewesen – mit hängendem und strähnigem Haar. Von Volumen und Glanz keine Spur. Als erstes raus aus den zerknitterten Arbeitsklamotten und hinein in die bequeme Schlabberhose. Dazu ein zu großes Shirt und bei Bedarf einen Hoody drüber. Um den Wohlfühlstatus zu erhöhen, kriegen meine Füßchen noch schnell ein paar Kuschelsocken übergestreift. Nach der Abschminknummer geht es dann bequem und gemütlich in den Feierabend.
Es folgt unser Ritual: Job-Talk. Jeder erzählt von seinem Tag im Büro. Früher hat das Stunden gedauert. Emotionen kochten hoch. Alle Dinge, die einen am Tag genervt, gestresst oder belastet haben, durften nun endlich raus. Ohne Rücksicht auf Diplomatie oder angemessener Wortwahl. Am Ende kamen die positiven Erlebnisse aber etwas zu kurz. Was nicht daran lag, dass zu wenig hiervon im Arbeitsalltag zu finden waren. Nur hat der Mensch den Hang dazu, seine Aufmerksamkeit eher auf die unschönen Dinge im Leben zu richten. Die Nachrichten zum Beispiel berichten zu 99,9% von Chaos, Drama, Leid. Wir fahren langsamer an Unfallstellen und Polizeikontrollen vorbei, um möglichst viel Schreckliches zu sehen und mitzubekommen. Am liebsten jammern wir über das Wetter. Gerne auch täglich. Warum richten wir unser Augenmerk nicht lieber auf die positiven Dinge? Davon gibt es eine Menge. Und diese Dinge machen viel mehr Spaß. Sie sind lustig, herzerwärmend und beruhigend. Sie machen das Leben lebenswert.
Auch bei uns bekamen die positiven Geschichten zu wenig Aufmerksamkeit. Dafür wiederholten sich die Schlechten immer und immer wieder. Nach einiger Zeit kamen wir an den Punkt, in dem mein Mann und ich die Storys des anderen in- und auswendig kannten. Bei gewissen Schlüsselworten oder Namen reagierte das Gegenüber fast schon genervt und gereizt. Wir wussten ja, worauf es hinauslief. Damit nahmen gleich zwei Personen Anlauf und hüpften mit einem Kopfsprung direkt in eine negative Gefühlswelt. Der Jobstress ging jetzt auch noch zu Hause weiter! Wir kamen einfach nicht im wohlverdienten und ruhigen Feierabend an.
So konnte das nicht weitergehen! Entweder mussten wir unseren Job-Talk ändern oder ihn abschaffen. Aber die Personen, das Umfeld und die Aufgabe, die die meisten Stunden meines Arbeitstages füllen, kann ich nicht einfach streichen. Will ich auch gar nicht! Siehe http://roaring40s.eu/machts-gut. Daher blieb nur: den Job-Talk radikal verändern. Was wir auch taten. Wir führten Regeln ein.
Jeder von uns darf über eine negative Sache vom Tag erzählen. Eine Situation, die ihn ganz besonders ärgert oder einfach nicht gut läuft. Das wird dann diskutiert oder einfach kommentarlos stehengelassen. Darauf folgt dann aber der schönste, lustigste, zufriedenstellendste Moment. Denn das Beste kommt zum Schluss! Wir haben dadurch gleich mehrere Win-Situationen geschaffen.
Win 1: Man denkt noch einmal über den Tag und die Geschehnisse nach. Man beschäftigt sich noch einmal mit den einzelnen Themen und wertet diese ganz neu. Ganz anders. Welche Story ist es wert erzählt zu werden? Überraschend wie schnell die Luft aus der einen oder anderen Geschichte plötzlich raus ist.
Win 2: Man beendet den Tag mit einer schönen Erinnerung. Was eindeutig eine positive Assoziation mit dem Berufsleben, den Berufsalltag, den Kollegen und der prinzipiellen Einstellung zum Job fördert. Zusätzlich hilft es dabei den Arbeitstag entspannt enden zu lassen.
Win 3: Der Partner fühlt sich integriert. Man lässt ihn teilhaben. Im Groben weiß er Bescheid, was da so im ganz normalen Wahnsinn passiert. Er ist mittendrinn und live dabei.
Wir machen wir das jeden Abend. Für uns ist es eine wichtige und wertvolle Zeit. Sie tut uns gut. Wir gehen mit einem guten Gefühl aus dem Tag. Ich glaube, Bobby, Sue Ellen und alle anderen Ewings würden jetzt auch fasziniert vor dem Fernseher sitzen, wenn sie uns da so sehen könnten. Bei unserer Art von ehrlichem Job-Talk. Von unserem wahren Leben. Und sie hätten bestimmt auch ein Glas Bourbon mit Eiswürfeln in der Hand und würden sich fragen, ob das das wahre Leben ist.
© by Marita Matschiner