Jetzt geht es ans Eingemachte. Und ich rede nicht von Himbeermarmelade oder Zwetschgenkompott. Die Rede ist vom wilden Campen. Hierzu habe ich eine sehr romantische und weichgezeichnete Vorstellung. Ruhe. Stressfrei. Wenig oder keine Menschen. Natur. Wind. Sternenhimmel. Wenn Bären, dann nur die Him-, Blau- und Erdbeeren. Eine wirkliche Herausforderung sehe ich bei der Planung: alle notwendigen Dinge dabei und eingepackt zu haben. Denn mal eben zum Kiosk an der Ecke gehen, um die vergessene Zahnbürste zu kaufen, ist in diesem Falle etwas schwierig – mitten im Nirwana. Improvisieren kann man ja immer irgendwie. Aber aus Ästen, Blättern und einem Kaugummipapier eine Zahnbürste basteln? Muss ja nicht sein. Wir heißen ja auch nicht Mac Gyver. Daher besser alles vorab geplant und eingepackt.
Morgen ist Feiertag und das Wetter ist perfekt für unseren ersten Wildcamping-Ausflug. Am späten Nachmittag brechen wir auf. Der Weg führt erst einmal über eine Bundesstraße, dann Autobahn. Nach gefühlten 30 Minuten sind wir auf einem einsamen und holperigen Kiesweg gelandet. Jetzt schon weit ab vom Schuss. Vorbei an einsamen, halb verkommenen Bauernhöfen und ausgestorbene Gasthöfen. Durch einen Wald, über Holzbalken mitten hinein in die Einsamkeit. Links von unserem Kiesweg geht es steil Bergab, rechts geht es steil Bergauf. Ich sitze kerzengerade auf meinem Beifahrersitz. Jeder Muskel steht unter Spannung. Meine Nägel verewigen sich völlig unkontrolliert in die Handinnenflächen. „Lieber Herrgott. Bitteee, lass uns kein Auto entgegenkommen!!!“ Jetzt geht es auch noch steil bergab. Oh man, ich komme mir vor wie in einer Achterbahn. Um die Kurve rum und da jauchzt mein Mann neben mir: „Da ist es! Wir sind da! Schau wie schön. Und wir sind ganz alleine.“
So viel Wildnis. Soviel Bäume. Direkt an der schönen Ammer. Dieser Platz ist garantiert für jeden Kanuten ein Traum. Vor uns eine Brücke, die zum stillgelegten Wasserkraftwerk Kammerl führt und die für morgen geplante Wanderung der Startpunkt ist. Die Ammer wird hier rechts mit Wald gesäumt und auf der anderen Seite mit großen Steinen. Hier bleiben wir. Ganz klar.
Stühle und Tisch sind aufgestellt. Markise ausgerollt. Boah, wie schön. Kein Handyempfang. Keine Störungen. Die Natur spielt ein Lied für uns. Bäume quietschen und bewegen sich im Wind. Vögel zwitschern. Grillen zirpen. Da fährt ein WOMO mit zwei Kanus auf dem Dach auf uns zu. Ein junges Pärchen steigt aus. Begutachtet den Wasserstand. Steigen wieder in Ihr Womo ein. Sie fängt an zu kochen, während er Zeitung liest. Danach schließen sie von innen die Tür und schalten das Licht aus. Kurz darauf kommt ein VW Bus um die Ecke. Eine Familie mit zwei Kindern. Schauen sich auch den Wasserstand und die Gegend an. Gehen zum Bus, parken um, essen ein paar belegte Stullen und gehen schlafen. Da sitzen wir wieder in der Einsamkeit. In der totalen Stille mitten im Sonnenuntergang und fühlen uns schon wieder wie Hippies! Nach dem Sonnenuntergang folgt Dunkelheit. Und ich meine Dunkelheit. Kein Licht. Keine Straßenlaternen. Keine Ortsbeleuchtung. Einfach nur pure Schwärze und der Sternenhimmel über uns.
Auch Hippies müssen irgendwann schlafen. Daher ist jetzt Sleepiezeit. Man sieht ja eh nix mehr. Mein Mann entscheidet sich, auf der Liege unter freiem Himmel zu nächtigen. Schlafsack ausgerollt und gut ist. Henry und ich schlüpfen in unser Hochbettchen im Bus. Ich genieße noch ein paar Seiten auf meinem Kindl. Immerhin habe ich ihn mir speziell für diese Ausflüge gekauft. Denn mit Stirnlampe zu lesen ist unbequem und lockt unnötig Mücken an. Darum habe ich mich zu dieser elektronischen Lösung durchgerungen (eigentlich bevorzuge ich Papier), um mich in den Schlaf zu lesen. Ist super. Klappt nämlich. Zumindest für zirka eine Stunde. Dann schrecke ich hoch und muss dringend der Natur ihren Lauf lassen. Pippilotta haben wir mit dabei. Aber mitten in der Nacht aufbauen? Ach, da geht doch auch das Waldstück. Schnell nach der parat hängende Stirnlampe greifen und leise die Tür öffnen. Damit der Hund, mein Mann und auch die zeitweiligen Nachbarn nicht wach werden. Soll ja keiner sehen wie ich in Shorts, T-Shirt, Uggs (völlig unterschätzte Campingschuhe) und mit schräg sitzender Stirnlampe auf den zerzausten Haaren in den Wald husche. Aber erst die Stirnlampe anschalten. In dieser unbekannten, dunklen Welt macht es durchaus Sinn ein bisschen was zu sehen. Ich will ja nicht in den Bach stürzen oder gar gegen den nächsten Baum laufen. Hoffentlich sieht auch keiner das Licht. Kaum hab ich diesen Gedanken gedacht, schon geht mein Kopfkino los: Wie sich Vorhänge im WOMO zur Seite schieben, das junge Pärchen mich amüsiert beobachtet. Es gibt nicht so viele natürliche Dinge, die mir wirklich peinlich sind. Aber das irgendwie schon. Warum eigentlich? Ach, die Blase drückt. Kopfkino, aus! Ende! Ich stolpere ein paar Schritte weiter. Bin ich da gerade auf eine Schleimschnecke getreten? Oder war das eine Schlange? Schnell die Stirnlampe auf dem Kopf einschalten. Shitt. Den Knopf habe ich gefunden. Aber bewegen tut er sich nicht! Mann, echt jetzt! Nochmal runter vom Kopf. Konzentriert reiße ich die Augen auf, um in der verdammten Dunkelheit zu sehen, in welche Richtung ich diesen scheiß Knopf bewegen muss! Ah, jetzt bewegt er sich. SCHEISSE! Au! Das tut weh! Der Schmerz bohrt sich wie glühende Nadeln durch die Augen, direkt in meinen Hinterkopf! Die Lampe ist endlich an. Ich Depp habe den Lichtstrahl direkt in die Augen gehalten. Hilfe! Ich bin blind! Jetzt kann ich gar nichts mehr sehen. Ich setzte die Stirnlampe auf und husche schnell in die Richtung, wo der Weg in den Wald gehen müsste. Ich blinzle die Flecken weck, die sich nun langsam ins Sichtfeld schieben. Schnell hinter das Gebüsch und gut ists. Wieder zurück. Die Schuhe lasse ich vorsichtshalber vor dem Bus stehen. Wer weiß in was ich da getreten bin. Bloß nicht drüber nachdenken! Sonst finde ich gar keinen Schlaf mehr. Rosa Elefant. Blumenwiese. Ha, erfolgreich abgelenkt. Zufrieden huschle ich mich wieder zurück ins Bett. Zurück zu meinem Hund.
Nächster Morgen. Kaffee. Unsere Nachbarn schlafen alle noch. Komisch. Die sind gegen 21:00 Uhr alle ins Bett gegangen und schlafen um 7:30 immer noch? Ich dachte immer, der frühe Vogel fängt den Wurm. Gilt wohl nicht für junge Pärchen, die Kanu fahren wollen. Wir machen Katzenwäsche am Fluss, putzen die Zähne. Ziehen die Wanderschuhe an und los geht’s. Auf zu den Schleierfällen. Wir erreichen sie innerhalb kürzester Zeit. Schön sind sie und toll. Beeindruckend, was die Natur von alleine, ohne fremde Hilfe, für Schönheiten erschaffen kann. Irre. Und wir Menschen schaffen es ausnahmsweise auch tatsächlich, diese Schönheit zu erhalten und nicht zu zerstören. Gut so. Weitermachen.
Auf dem Rückweg kommen uns alle 5 Minuten neue Wanderer entgegen. Wo kommen die denn alle her? Zurück am Bus stellt sich uns noch eine weitere Frage: Wann und wie sind die ganzen Busse, Womos und Kangoos hier angekommen? Es müssen um die 30 Autos sein. Alles pilgert entweder mit Rucksack Richtung Wanderweg oder mit Kanu Richtung Wasser. Mein lieber Herr Gesangsverein. Da wird dann auch kräftig was los sein heute.
Während alle anderen jetzt um den besten Platz im Wasser, am Wasserfall oder im Stau kämpfen, gehen wir erst einmal gemütlich Mittagessen. Bis die alle an ihrem Ziel angekommen sind, sind wir schon wieder daheim. So mag ich das. So habe ich mir das vorgestellt, das wilde Campen zu wilden Zeiten. Und hierfür ist Eda auch vorgesehen. Das wird nun einer ihrer Aufgaben sein. Uns sicher und heile an einen ruhigen Platz bringen. Uns in der Nacht Schutz bieten und dann wieder sicher und heile nach Hause bringen. Danke Eda! Du hast mir wieder einmal erfolgreich geholfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen und zu entdecken. Und apropos Augen: bei nächsten Trip werde ich vorsichtshalber eine Sonnenbrille neben die Stirnlampe hängen. Sicher ist sicher.
© by Marita Matschiner