Als Kind und Teenager, wohnhaft in einer Kleinstadt, wollte ich irgendwie von A nach B kommen. Da war das Fahrrad genau das Richtige. Ungebunden. Ohne auf Mamas oder Papas Chauffeur-Service zu warten, darum zu betteln oder zu feilschen. Wenn ich so zurückdenke, habe ich die meiste Zeit meiner jüngeren Jahre auf dem Drahtesel verbracht. Als dann der Motorroller kam, und im Anschluss das Auto, war das Radl Geschichte. Der Aufwand war motorisiert einfach geringer. Die Kosten im Gegenzug leider höher. Aber was sind schon Kosten, wenn man überdacht und ohne eigene körperliche Anstrengung von A nach B kommen kann.
Heutzutage radle ich mit meinem Mountainbike in den Biergarten oder zum Bäcker. Ziemlich langweilig, dieses Mountainbike fahren. Aber macht man halt so. Ich halt auch.
Aber so ein Rennrad. Das finde ich schon seit vielen Jahre toll. Die sind so schön, schmal, elegant und so schnell. Auch die Fahrer sehen so ganz anders aus als die durchschnittlichen Mountainbiker. So schmal, elegant und treten so schnell. Regelmäßig habe ich mit dem Gedanken gespielt, mir so ein schickes und schnelles Zweirad zuzulegen. Da ich momentan wegen eines Gesundheitsproblems nicht so gut laufen kann, und mein Physio meinte, ich solle gleichmäßige Bewegungen machen, habe ich endlich meinen Freifahrtschein. Ein Besuch beim Fahrrad-Fachhandel muss sein. Und, da ist es nun. Mein neues, schmales, elegantes und schnelles Zweirad hat ein neues Zuhause gefunden. Bei mir.
Ich starte die erste Runde. Erst einmal die Straße hoch und runter. Schön, schmal und elegant ist es. Von schnell kann keine Rede sein. Es ist ein ganz anderes Fahrgefühl, so ein Rennrad im Vergleich zum Mountainbike. Zu erwähnen sei noch: Es ist ein Gravel-Bike. Quasi ein Rennrad, aber mit ein bisschen breiteren Reifen. Ein Miniprofil haben sie auch. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin und zu viele Autos und deren Abgase um mich rum sind, kann ich schwupp die wupp ausweichen. Einfach im Wald oder auf Schotterstraßen weiter. Nichtsdestotrotz: es ist schlank, schnittig und leicht wie eine Feder. Nur die gewohnte Federung vom Mountainbike fehlt meinem Allerwertesten.
Es ist 6:45 Uhr morgens. Der erste Morgen mit meinem neuen Rad. Die Vögel zwitschern. Die Luft ist frisch und unverbraucht. Laufen gehe ich bevorzugt in der Natur. Abseits von Menschen, Häusern und Autos. Mit dem Rad düse ich erst einmal durch unseren Ort und dann über die Landstraße. Und hier kommt ein enormer Unterschied: Im Wald riecht man Natur. Wald. Feuchten Boden. Wasser. Im Ort riecht man Duschgels. Deos und Parfums wie Axe, Davidoff Cool Water oder Abercrombie & Fitch. Hauptsächlich Männerdüfte. Frauendüfte sind eher selten. Dafür sucht sich das Haarspray der Damen oft seinen Weg aus den Bädern raus auf die Straße. Überall kommt einem ein frisch gebrühter Kaffeeduft entgegen. Es ist überwältigend was einem alles um diese Uhrzeit durch die Nase fegt. Bei manchen halte ich vor lauter Igitt den Atem an und trete kräftiger in die Pedale. Bei anderen bin ich versucht umzudrehen, um noch einmal ein oder zwei Prisen zu nehmen. An der nächsten Ecke ist ein großes Restaurant. Der Bratengeruch, ergänzt um Knoblauch und Zwiebeln, sucht sich seinen Weg durch die Nase direkt in mein Gehirn. Morgens um 7:00 Uhr kommt das bei mir nicht so gut an. Ich beeile mich um diese jetzt unangemessenen Gerüche hinter mir zu lassen. Weiter auf die Landstraße. Ich sehe die Straße vor mir, wie sie sich durch die Natur schlängelt. Im Hintergrund die Berge. Es riecht nach frisch gemähten Wiesen. Kuhdung. An einem Waldstück riecht es nach Zimt. Nach ein paar Metern schießt mir plötzlich der Geruch von Bananen in die Nase. Und zwar so eine ganz frische, die gerade von Grün in Gelb geschlüpft ist. Weiter hinten riecht es nach Ziegenkäse. Stimmt, da vorne kommt auch ein Ziegengehege. Ein Traum für meine Nase und damit für meine Seele. Kurz vor zuhause kommt unser Bäcker. Ich bekomme akuten Speichelfluss. Mein Magen knurrt lauter als der LKW, der mich gerade überholt. Dem brummenden Bauch muss ich nachgeben. Ein lauwarmes Croissant wandert für den Transport in meine Kapuze. Ich suche mir ein schönes Plätzchen, um mein Frühstück zu mir zu nehmen: Eine Parkbank direkt an unserem Weiher mit Maibaum im Hintergrund. Ich öffne die Bäckertüte und der Geruch von frischem Backwerk umgibt mich. Ich greife in die Tüte und reiße ein Stück von dem verführerischen Teilchen ab. Es hinterlässt einen glänzenden Butterfilm auf meinen Fingern. Lecker. Was für ein Morgen. Das gute Gefühl, etwas für mich, meinen Körper und meine Nase getan zu haben. Daheim wartet eine erfrischende Dusche und ein heißer Kaffee. Aber jetzt habe ich fünf Minuten Zeit. Fünf Minuten nur für mich und den gerochenen Eindrücken. Und für mein Croissant. Einfach toll.
Das war vor zwei Monaten. In der Zwischenzeit weiß ich, wo welcher Geruch ungefähr ist und kann die Strecke entsprechend planen. Je nachdem, wonach mir ist. Ich bin immer noch in dieses Fahrrad verliebt. Wir haben uns gut aneinander gewöhnt. Heute kommt es in seinen ersten Service. Mit 800 km auf dem Tacho. In der Zwischenzeit hat es seinen ersten Kratzer, aber es ist immer noch schön, schmal und elegant. Und ich bin schnell!
© by Marita Matschiner