Klein, aber oho

pic by Achim Matschiner

Solange ich zurückdenken kann war ich die Kleinste. Es ging schon los im Mini-Club in West-Berlin. Bei uns gab es in der Nähe keinen Kindergarten – läuft aber am Ende auf das Gleiche hinaus. Die Jüngste in der gesamten Nachbarschaft. Trotz einer Ehrenrunde in der 2. Klasse, nach unserem Umzug nach Bayern, sah es in der Schule nicht viel anders aus. Gut, da war ich dann nicht mehr die Jüngste, aber mit der Körpergröße lag ich immer noch ziemlich unter dem Durchschnitt.

In der Ausbildungszeit war ich der Steppke oder das Küken. Das änderte sich auch nicht bei meinem ersten Job. Ebenso setzte sich das bei allen weiteren Arbeitgebern fort: Ich hatte das Los, das kleine Hascherl zu sein. Selbst im Freundeskreis war es nicht anders. Auf einer Party hat mir einmal jemand eine Trittbrettleiter angeboten: Damit ich mal in Augenhöhe mit ihm reden kann. Haha. Wie witzig! Danke!

Bedenken, einen zu kleinen Mann abzubekommen, hatte ich keine. Die Wahrscheinlichkeit war ja eher gering. Die einzig knifflige Situation hätte sein können, wenn mir Prince begegnet wäre. Aber: Hätte, hätte, Fahrradkette. Immerhin war dieser sexy Mann und kreative Kopf gerade mal 157 cm groß. Da kann ich ja mal locker mithalten und das auch noch um ganze fünf Zentimeter toppen.

Genau an diesem Punkt kommt jetzt für mich ein ganz wichtiges Thema. Schuhe! Erstens habe ich durch meine 162 cm eine angenehme Schuhgröße und bekomme überall welche. Vor allem auch genau die, die ich will. Ich muss keine Kompromisse eingehen und kann sogar frei bei den unterschiedlichen Farben, Materialien und Styles wählen. Zweitens ist es völlig wurscht wie hoch der Absatz ist. Egal ob drei, fünf oder zehn Zentimeter. Ich kann wirklich alles tragen. Ohne dass ich meinen Mann körperlich überrage oder meine Erscheinung leicht unproportioniert wirkt.

Es gibt noch einen weiteren Vorteil bei meiner Körpergröße. Die 7/8-Hosen. Fand ich großartig! Endlich mal keine Hosen kürzen müssen. Je nach Laune der Modeindustrie habe ich den Luxus, das erworbene Stück in der perfekten Länge direkt anziehen zu können. Klasse! Große Menschen haben da ein entgegengesetztes Problem. Und auch diejenigen, die körperlich ihrer bisherigen Beinlänge entwachsen sind. Hierzu hat die Modebranche in den 1970er-Jahren eine Lösung kreiert. Es wurden einfach Borten unten ans Hosenbein genäht. Bevorzugt in bunten und schrillen Farben. Sah genau genommen ziemlich scheiße aus. Aber was macht man nicht alles, wenn das Beinkleid zu kurz ist. War aber nicht mein Problem. Wird es wohl auch nie werden.

Vor einigen Jahren hatte ich berufliche eine ganz andere Herausforderung. Mit einem niederbayrischen Kollegen. Er war von sich selbst ziemlich überzeugt und hatte die Einstellung, er müsse den große starken Mann geben. Nur dann ist man(n) toll. Zu seinem Leidwesen war ich ihm im Job allerdings gleichgestellt. Was ihm echt große Probleme bereitete. Er kam damit einfach nicht klar. Eine Frau. Klein. Und ihm dann auch noch gleichgestellt. Das ging für ihn gar nicht! Meine Taktik: Ich fragte ihn mit einem Augenaufschlag immer mal wieder, ob er mir bitte den Ordner/Karton von da ganz oben runterreichen könnte, weil ich ja so klein sei und da einfach nicht rankomme. Damit war das Eis gebrochen. Zwar musste ich diese Worte fast jede Woche von mir geben, aber er fühlte sich geschmeichelt, unentbehrlich und groß. Ab dem Zeitpunkt klappte unsere Zusammenarbeit wunderbar.

Man gewöhnt sich daran, aufgezogen zu werden und mit Sprüchen wie „Keine Arme, keine Kekse!“ oder „Versuch da mal ranzukommen!“ veräppelt zu werden. Ich hatte nie Komplexe deswegen. Denn: Ich bin nämlich gar nicht klein. Ich habe die durchschnittliche Größe einer südeuropäischen Frau. Demzufolge bin ich ja fast Italienerin. Was auch mein Hang zu schönen Schuhen und guter Pasta erklärt. Und da ich bei München lebe und München auch die nördlichste Stadt Italiens ist, macht das Ganze sogar doppelt Sinn.

© by Marita Matschiner

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Die stade Zeit: ein Busfahrer, mein Mann und ich

Weihnachten. Die ruhige Zeit. Die stade Zeit, wie wir so schön in Bayern sagen. Diese Worte waren wohl einst einmal weislich gewählt und hatten wirklich einen Grund. Leider sind diese Worte in der heutigen Zeit nicht mehr passend. Weihnachten wird irgendwie von Jahr zu Jahr stressiger. Trotz 24 Tage Vorbereitungszeit und jährlich fixem Termin – immerhin bekannt seit Jahrhunderten – sind wir in dieser Zeit mehr Stress ausgesetzt als an allen anderen Tagen im Jahr. Die Anspannung, alles gut organisiert zu bekommen. Den Druck, alle Geschenke rechtzeitig und vor allem treffend zu finden, und natürlich noch in-time im Hause zu haben. Möglichst alle Familienmitglieder unter einen Hut zu bekommen. Die Dekoration des jährlichen Modediktats anzupassen. Die Plätzchen müssen schmecken. Einheitlich groß. Und möglichst neue kreative Kombinationen beinhalten. Das Weihnachtsessen soll traditionell sein und trotzdem keine Langeweile aufkommen lassen. All diese Aspekte basieren auf einem einzigen Ziel: Die eigene Erwartungshaltung und die Annahme, dass diese auch auf die anderen Familienmitglieder zutrifft, zu erfüllen. Diese Tage sollen die perfekten Tage im Jahr werden! Für alle Familienmitglieder. Und für mich! Harmonie pur. Liebe bis zum Abwinken.

Unser Weihnachten ist geprägt durch Tradition, Familie und tatsächlich einen Grad von Egoismus. Wir sind überzeugt davon, dass dieser Grad von Egoismus ein Gesunder ist. Auch unsere kleine Familie benötigt vom Alltag und den Verpflichtungen ein bisschen Auszeit. Zweisamkeit. Ruhe. Unsere beiden Mütter und mein Vater sehen das bestimmt anders. Sie haben aber großes Verständnis dafür. Dafür möchte ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön aussprechen! Diese Möglichkeit, am ersten und/oder zweiten Weihnachtstag bei der Familie mit einem großen, bauchfüllenden Weihnachtsessen aus dem Weg zu gehen, wird nicht vielen Kindern eingeräumt. Es ist schließlich ein Familienfest und daher sind diese Besuche im Allgemeinen ja quasi eine Pflichtveranstaltung. Noch einmal Danke, liebe Mamas und Papa, dass ihr uns hierzu nicht nötigt oder sogar zwingt.

Dieses Jahr haben wir vielleicht eine neue Tradition ins Leben gerufen. Denn sie war so schön. Ruhig. Besinnlich. Einfach nur rund. Angefangen hat es mit einem Erlebnis von mir vor ein paar Jahren. Ich bin am ersten Weihnachtsfeiertag morgens um 8:00 Uhr Laufen gegangen. Eine ruhige, von mir selten absolvierte Strecke. Sie liegt direkt an einer Verbindungsstraße von zuhause zum nächsten Ort. Während ich so lief, fuhr der öffentliche Bus an mir vorbei. Um diese Uhrzeit, an einem heiligen Feiertag in der ‚Staden Zeit‘. Dass der Bus vorbeifuhr hat mich nicht sonderlich irritiert. Nur der Busfahrer, der einsam hinter seinem Lenkrad saß. Ob er jetzt Weihnachtsmusik hörte oder vielleicht sogar ziemlich zufrieden mit sich und seiner selbst war, kann ich nicht beurteilen. Mir tat er nur leid in dieser Situation. Er musste an einem Feiertag früh aufstehen. Seinen Dienst verrichten. Und das ohne vermeintlichen Nutzen. Niemand fuhr mit. Ich weiß, es werden jetzt einige von euch sagen: „Das ist sein Job. Dafür bekommt er schließlich sein Gehalt!“ Ja, klar. Ist mir völlig bewusst. Er tat mir trotzdem leid. Es gibt nichts Schlimmeres, als seinen Dienst zu tun und dafür keinerlei Wertschätzung zu erhalten. Geschweige denn einen Nutzen oder sogar eine Sinnhaftigkeit in seiner Arbeit zu sehen. Dieser Mann stand frühmorgens auf, lässt seine Familie alleine daheim und verrichtet seine Arbeit. An Weihnachten! Kein Lächeln. Kein Danke. Kein Bitte. Was für ein Los an Weihnachten?

Mein Mann überraschte mich am ersten Weihnachtsfeiertag. Er forderte mich auf meine Daunenjacke anzuziehen. In die Winterstiefel zu schlüpfen, eine Mütze aufzusetzen und mit ihm gemeinsam das Haus zu verlassen. Seine genauen Worte waren: „Überraschung! Wir machen jetzt einen Ausflug!“ Wie jetzt? Es ist Feiertag! Bisher gab es an diesen Tagen keine Verpflichtungen! Und ich soll mich anziehen und mich auf irgendeinen Ausflug – wie hunderte andere Menschen auch – begeben? Das kann nicht sein Ernst sein!

Wir liefen vor bis zur Hauptstraße. Ein Bus mit der Nummer 271 hielt an und er schob mich in diesen. Er ignorierte meinen fragenden Blick. Er lächelte den Busfahrer an und trällerte ein „Frohe Weihnachten! Bitte ein Paar-Tagesticket für den Außenraum.“ Ich konnte es kaum glauben. Ich saß an einem 25. Dezember in einem Bus und wir fuhren quer durch die Pampa bis zur Endhaltestelle. Ein süßes bayrisches Örtchen, von dem ich vorher noch nie etwas gehört habe. Hinein in ein Restaurant. Der einzig freie Tisch war mit perfekter weihnachtlicher Dekoration in Beschlag genommen. An den Nachbartischen war Familienstress pur. Kinder beschäftigten sich mit Computerspielen auf iPad und iPhone. Eltern schwiegen sich an. Großeltern spielten Freude vor und wünschten sich im Grunde nur auf ihre gemütliche Couch. Endlich raus aus dem gestärkten Anzug, dem Rock mit der Rüschenbluse. Hinein in eine bequeme Alltagsklamotte. Das tun, was man am liebsten tut. Nur nicht das hier! Aber: Es ist Weihnachten. Familie ist angesagt. Ente mit Knödel und die Hochzeitssuppe vorweg. Das schwere Dessert nicht zu vergessen. Das Servicepersonal sichtlich gestresst – mit einem aufgesetzten Lächeln. In der Erwartung, möglichst bald die Feierabendglocke läuten zu hören. Unser Kellner hinterlässt einen überrascht entspannten Eindruck. Ob es aus seinem tiefsten Inneren kam oder seiner professionellen Einstellung entspricht, kann ich nicht beurteilen. Er hat uns zumindest nicht das Gefühl gegeben, dass wir stören oder ihn einen Schritt näher zum Burn-out bringen.

Im Anschluss hatten wir einen Kurzaufenthalt auf einer Bank, in der wärmenden Sonne, direkt vor der Kirche. Wir beobachten Spaziergänger. Für uns war es erschreckend, wie wenig Familien vorbeizogen, die mit sich im Reinen waren und sich auf ein Zusammentreffen mit der Familie freuten. Die Blicke waren ziemlich verhärmt und unzufrieden. Auch hier war der Weihnachtsstress direkt in den Gesichtern abzulesen. Unabhängig davon, um welches Familienmitglied es sich handelte.

Irgendwann war es soweit und unser Bus der Linie 271 fuhr wieder Richtung Heimat. Im Sonnenuntergang des Alpenpanoramas genossen wir die 40-minütige, völlig gechillte Busfahrt. Einsam, ruhig und entspannt mit einem fremden Menschen am Steuer seines Gefährts. Der Busfahrer von heute früh. Ein offensichtlich nicht mehr ganz so einsamer Mann, der nur seinen Job ausübt. Sondern in Gesellschaft von zwei Personen, die seinen Einsatz sehr wohl zu schätzen wissen. Und es ihm auch zeigen. Krönender Abschluss ist ein zehnmenütiger Spaziergang von der Bushaltestelle nach Hause. Wir sind wieder in unseren eigenen vier Wänden.

Was für ein Tagesausflug! Was für ein entspannter erster Weihnachtsfeiertag! Ohne Stress. Ganz in Ruhe. Die stade Zeit ist bei uns eingekehrt.

© by Marita Matschiner