Vorfreude ist die schönste Freude – wenn da nur nicht diese beschissene Warterei wäre

Gibson makes the World go round – pic by Achim Matschiner

Wir bekommen spät Abends von einer Freundin ein Foto von einem Hund zugeschickt. Er sucht dringend ein neues Zuhause. Momentan ist er in Montenegro und hat kein gutes Leben. Und leider auch keine tolle Zeit hinter sich. Er muss dringend aus diesem kleinen und dreckigen Zwinger raus. Ob wir nicht jemanden mit einem sportlichen und aktiven Leben kennen, der sich einen braven, verspielten und liebevollen Hund als Familienmitglied vorstellen könnte. Mmmhhhh? Das hat sie ja mal genau richtig eingetütet: ein schlimmes Foto mit einer herzzerreißenden Geschichte. Seine Augen so vertrauensvoll. Mit viel Gefühl, aber trotzdem unheimlich traurig. Armes Kerlchen. Für uns steht fest: den müssen wir kennen lernen! Im Fernsehen läuft gerade „Braveheart“. Ein im Gesicht blau angemalter Mel Gibson wedelt wild mit einem Schwert und brüllte aus Leibeskräften. Und schon hat der Hund intern bei uns einen neuen Namen: „Gibson“. Erste Bindungsphase abgeschlossen. Eine unterbewusste Vorfreude wabert langsam durch unsere Gedanken.

Nach einige Diskussionen und etlichen Gesprächen haben wir uns entschieden: Gibson wollen wir nicht nur kennenlernen – er soll bei uns ein neues Nest finden. Ein neues Zuhause. Mit viel Liebe und Aufmerksamkeit. Dinge erleben, die Welt entdecken und jede Menge Bewegung und Sport haben. Spiel, Spaß und Spannung quasi inklusive. Ein Gibson-Überraschungsei!

Vier Wochen müssen wir warten bis wir endlich einen Liefertermin haben. Hört sich krass an, oder? Ein Liefertermin für einen Hund. Nicht für ein Bett, einen Schrank oder eine Mülltonne. Nein. Für einen Hund. Umgehend haben wir den geplanten Urlaub mit Freunden abgesagt. Das Familienfest in Niedersachsen auch gleich. Wir wissen, wir haben mit der Absage einige Familienmitglieder und Freunde enttäuscht. An dieser Stelle ein ganz, ganz großes und herzliches DANKE. Danke, dass ihr alle, jeder in seinem Maße, Verständnis für unsere Situation hattet und habt. Es kommt für uns ein neues Familienmitglied. Wollen wir dann umgehend mit ihm auf Reisen gehen? Stundenlange Autofahrten? Fremde Umgebungen? Viele unbekannte Menschen? Nein! Das kommt für uns nicht in Frage. Er soll erst einmal ankommen. Uns und seine neue Umgebung kennenlernen. Nicht mehr hin- und hergeschubst werden. Sich endlich mal willkommen fühlen und Geborgenheit kennen lernen.

An unserem ersten Urlaubstag können wir ihn bei einer Privatfamilie im Laufe des Tages abholen. Ich nutze den Vorabend und zeige mich als verantwortungsbewusste Hunde-Mama: shoppen für den Hund. Das neue Körbchen steht seit Wochen parat. Leine, Halsband und Handtücher liegen schon ewig an ihrem Platz. Ebenso neue Näpfe. Wir, äh sorry, Gibson braucht nur noch ein bisschen Spielzeug und ein Kuscheltier. Pssst! Ich will jetzt nichts hören von wegen „Ist ein Hund!“ oder „Immer diese Vermenschlichung!“. So bin ich. So ist mein Mann. Gibson soll sich wohl bei uns fühlen. Wir wollen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Und immerhin, ein Kuscheltier schadet niemandem. Auch einem Hund nicht. Während ich so im Hundeparadies stöbere ereilt mich ein Anruf. Die Fahrer des Gibson-Transport sind früher los und kommen daher schon heute statt morgen an. So gegen 22:00 Uhr. Umso besser. Kriegen wir hin. Die Vorfreude steigt. Jetzt erst einmal weitershoppen – alles gut. Das erstandene Spielzeug (Ball, Frisbee und Knotenseil) wird daheim erst einmal voller Stolz präsentiert. Gegen 20:00 Uhr kommt wieder ein Anruf. Die Fahrer stehen im Stau und sind erst gegen 0:00 Uhr am Übergabeort. Doof, aber hey, was solls. Passt schon. Dann kommen wir eben gegen 0:00 Uhr. Kaffee und Red Bull werden das schon hinbekommen. Unsere Nervosität und Aufregung übernehmen den Rest.

Um 23:00 Uhr ziehen wir Schuhe und Jacke an. Da schrillt das Handy. Die Fahrer stehen wieder im Stau. Wird wohl erst 3:00 Uhr morgens. Mmmhhh. Kann man nichts machen. Stehen wir auch noch durch. Eh schon egal.
Um 2:00 Uhr noch ein kurzer Check vor der einstündigen Fahrt: Leckerlies, Wasser, Napf, Halsband und Leine. Für den Notfall auch schon die erste Kacktüte. Vorsichtshalber noch eine zweite. Alles am Start. Wir düsen los. Das erste Drittel haben wir hinter uns, als das Telefon erneut klingelt. Leicht verschlafen erzählt uns eine weibliche Stimme, dass es leider doch noch etwas länger dauert. Aber 5:00 Uhr sollte klappen. Wo ist die versteckte Kamera? Hier veräppelt uns doch einer! Muss das sein? Scheint wohl so. Ändern können wir es ja eh nicht. Da müssen wir jetzt durch. Und Gibson leider auch.

Da fahren wir nun. Mitten in der Nacht. Zu weit weg von daheim, um noch einmal umzudrehen. Zu früh dran, um bei der Übergabestelle die Straße hoch und runter zu laufen. Unser Adrenalinspiegel steht auf super-duper-Level und wir sind hellwach. Wir wollen doch nur diesen Hund. Unseren Gibson endlich in die Arme nehmen! In der Nähe vom Zielort gibt es einen Autohof an der Autobahn. Den peilen wir an. Dort angekommen sind wir die einzigen, außer dem Tankwart, die die Zeit in Benzindämpfen unterm Sternenhimmel totschlagen. Kalt ist es auch noch. Der große Zeiger bewegt sich irgendwie zu langsam. Geht die Uhr überhaupt? Nach gefühlten endlosen Stunden ist es 4:45 Uhr. Ein Anruf. Gibson ist da. Wir können los. Das lang ersehnte Treffen ist greifbar. Quasi gleich um die Ecke. Nur noch ein paar Minuten. Red Bull hätten wir uns schenken können. Wir sind so schon aufgeregt genug und total nervös. Gleich. Gleich ist es soweit. Wir schwelgen in romantischen Vorstellungen. Seit Wochen. Aber jetzt ist es endlich soweit. Phantasie wird Realität. Gleich. Gleich. Gleich.

Wir treffen auf die Sekunde pünktlich ein. Die Eingangstür öffnet sich. Ein ziemlich übernächtigter Mann mit strubbeligen Haaren steht in der Tür. „Gibson ist in der Küche.“ Wir schleichen langsam, erwartungsvoll und Schritt für Schritt näher. Gehen behutsam in die Hocke, um ihn beim ersten Kontakt nicht zu verschrecken. Wollen ihn angemessen begrüßen. Er steuert auf uns zu und läuft an uns vorbei. Wie jetzt? Lässt unser Karma uns im Stich? Ein anderer Hund kommt um die Ecke gerannt und steuert direkt auf uns zu. Gibt Küsschen, hüpft auf meinen Schoss, schmust. Aber Gibson interessiert sich nicht die Bohne für uns. Ich zücke meine selbstgebackenen Bestechungskekse. Leckerlies aus Quark und Babybrei (Karotte und Kartoffel). Die Hunde um uns rum lieben die leicht unförmigen Kekse und klauen mir einen nach dem anderen aus der Hand. Gibson kommt zurück. Bleibt stehen, schnuppert. Schwupp, weck ist das Leckerlie. Er stapft weiter und vergrößert die Strecke wieder zwischen uns. Mhhh… was jetzt? Mag er mich nicht? Mein erwartungsvolles Lächeln weicht einem leicht verbissenen Merkel-Ausdruck. Ein bisschen Enttäuschung gepaart mit Panik kämpfen sich Millimeter weise durch meine freudige Erwartung. Ich versuche sie wieder zurückzudrängen. Mein Mann geht zu ihm. Setzt sich zu ihm auf den Boden, redet ruhig auf ihn ein. Stülpt ihm sein neues Halsband über. Gibson wehrt sich nicht. Bleibt bei ihm. Jetzt wollen wir kurzen Prozess machen und eigentlich nur noch nach Hause. Ihn vor vollendete Tatsachen stellen. Also auf zu unserem Bus. Er hüpft sofort und freudig hinein. Ich setze mich zu ihm. Gibson hüpft von Bank zu Bank. Runter auf den Boden und wieder zurück. Wie ein 25 kg schwerer Flummi. Ich kann ihn kaum halten, geschweige denn zur Ruhe bringen. Nach geschätzten 20 Minuten wird er dann doch ruhiger. Ich befürchte eher aus Erschöpfung und nicht aus Entspanntheit. „Wird schon irgendwie“ bete ich in mich hinein.

Zuhause angekommen trinkt er Unmengen an Wasser. Erledigt sein Geschäft und verschlingt seine erste „bayrische“ Mahlzeit. Nach längerem Geschnupper fällt er zufrieden auf seinem Schaffell in einen tiefen Schlaf. Im Hintergrund der Sonnenaufgang.

Ich fühle mich wie ein ausgelutschter Kaugummi. Völlig übernächtigt. Total erledigt. Fix und fertig. Doch da ist sie! Die romantische Vorstellung, die zur Realität wird. Ich kann sie fühlen, greifen und überhaupt. Ich bin glücklich. Wir sind glücklich. Überglücklich. Der Himmel über uns müsste vor rosa Einhorn-Glitzer erstrahlen. Wir lehnen uns seelig lächelnd zurück. Stoßen mit unseren Kaffeebechern an: „Auf Gibson und unser gemeinsames Leben!“. Was für ein tolles Gefühl. Welche Zufriedenheit so eine Seele in ein Leben zaubern kann. Welche Glückseligkeit durch uns hindurch strömt. Und dieses Leben fängt jetzt erst an. Immer wieder würde ich alles genau so machen. In die Vorfreude völlig eintauchen, genießen und auskosten. Bis zum Letzten aufsaugen. Das beste Gefühl der Welt. Wenn nur diese scheiß Warterei vorab nicht wäre.

© by Marita Matschiner 

3 Gedanken zu „Vorfreude ist die schönste Freude – wenn da nur nicht diese beschissene Warterei wäre

  1. OK sagt:

    Ich hoffe das sich Gibson schon gut eingelebt hat. Aber ich denke, so wie ich euch kenne, fühlt er sich Pointerwohl.

  2. Ina sagt:

    Ich hatte so gehofft, dass diese ganz besondere Familienzusammenführung den Weg in diesen Blog findet und ich freue mich sehr, dass ich eure Geschichte jetzt noch einmal im Detail nachlesen durfte! Ich bin mir sicher, dass ihr noch ganz viel Freude ….Ob Vor oder Nach ganz egal… Zu dritt haben werdet! Schön, dass Gibson so ein liebevolles Zuhause gebt!

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